Wie las­sen sich künst­le­ri­sche Arbeit und Mut­ter­sein ver­ein­ba­ren? 1929 mach­te Vir­gi­nia Woolf einen zukunfts­wei­sen­den Vorschlag. 

Was haben Lite­ra­tin­nen wie Geor­ge Eli­ot, Jane Aus­ten, Char­lot­te und Emi­ly Bron­të aus­ser dem Ver­fas­sen von Roma­nen gemein­sam? «Die mög­li­cher­wei­se rele­van­te Tat­sa­che, dass kei­ne von ihnen ein Kind hat­te», bemerkt Vir­gi­nia Woolf in ihrem bekann­ten Essay A Room of One’s Own von 1929.

Ein eige­nes Zim­mer und 500 Pfund im Jahr. Das sind die Bedin­gun­gen, die Frau­en zum Schrei­ben benö­ti­gen. Vir­gi­nia Woolfs Inter­es­se galt nicht pri­mär schrei­ben­den Müt­tern. Doch in ihrem muti­gen Bestehen auf der Ver­bin­dung von Krea­ti­vi­tät und mate­ri­el­ler Wirk­lich­keit blitzt eine Visi­on auf, in der sich künst­le­ri­sches Schaf­fen und Mut­ter­schaft ver­söh­nen las­sen: «Irgend­wie muss das Buch dem Kör­per ange­passt wer­den». Damit for­mu­lier­te sie vor knapp hun­dert Jah­ren eine ernst­haf­te Alter­na­ti­ve zum Cre­do der Fle­xi­bi­li­tät von heu­te, das eine per­ma­nen­te Anpas­sung des Kör­pers und Geis­tes an die zu bewäl­ti­gen­de Arbeit verlangt.

Virginia Woolf 1902. Foto: George Charles Beresford
Vir­gi­nia Woolf 1902. Foto: Geor­ge Charles Beresford

Zwar konn­te Groß­bri­tan­ni­en schon vor dem 20. Jahr­hun­dert eine ver­gleichs­wei­se beacht­li­che Zahl erfolg­rei­cher Schrift­stel­le­rin­nen vor­wei­sen. Doch wie Woolf rich­tig fest­stell­te, hat­ten die meis­ten kei­ne Kin­der. Jene, die Kin­der beka­men, bra­chen mit den Kon­ven­tio­nen. Mary Woll­stone­craft zog ihre ers­te Toch­ter allein gross. Ihre zwei­te, Mary Shel­ley, ent­floh dem Vater­haus, um mit dem bereits ver­hei­ra­te­ten Dich­ter Per­cy Shel­ley zusam­men­zu­le­ben. Eliza­beth Bar­rett Brow­ning gebar ihr ein­zi­ges Kind in dem damals unge­wöhn­lich hohen Alter von 43 Jah­ren. Und Doris Les­sing ver­ließ ihre ers­ten bei­den Kin­der, um schrei­ben zu können.

Mate­ri­ell benach­tei­ligt und von gesell­schaft­li­chen Erwar­tun­gen erdrückt stand Frau­en zudem kein künst­le­ri­sches Selbst­ver­ständ­nis zur Sei­te. Meis­ter­wer­ke, so Woolf, sei­en kei­ne «ein­sa­men Gebur­ten», son­dern das Ergeb­nis von vie­len Jah­ren gemein­sa­men Den­kens, so dass die Erfah­rung vie­ler Men­schen hin­ter der ein­zel­nen Stim­me steht. Wäh­rend Schrift­stel­ler sich auf die Wer­ke und Bio­gra­fien männ­li­cher Vor­bil­der bezie­hen kön­nen, fehl­ten Frau­en künst­le­ri­sche role models. Die­se hät­ten für Frau­en auch das Ver­hält­nis zwi­schen Werk und Kin­dern gere­gelt. So aber dau­ert bis heu­te das Dilem­ma fort: Bleibt eine Schrift­stel­le­rin kin­der­los, gel­ten ihre Wer­ke als Kin­de­r­er­satz. Hat sie hin­ge­gen Kin­der, ste­hen ihre Bücher angeb­lich in einer innig­li­chen Bezie­hung zu die­sen. Ist J. K. Row­lings Har­ry Pot­ter nicht der Befrei­ungs­schlag einer allein­er­zie­hen­den Mut­ter? Sind Sil­via Plaths Gedich­te nicht das Omen des künf­ti­gen Sui­zids einer Mut­ter? Hat mit Fran­ken­steins mut­ter­lo­sem Mons­ter Mary Shel­ley nicht den Tod ihres Babys ver­ar­bei­tet? Egal, was Frau­en künst­le­risch auf die Bei­ne stel­len – es muss sich stän­dig die Fra­ge gefal­len las­sen, in wel­chem Ver­hält­nis es zu ihren (feh­len­den) Kin­dern steht.

Egal, was Frau­en künst­le­risch auf die Bei­ne stel­len – es muss sich stän­dig die Fra­ge gefal­len las­sen, in wel­chem Ver­hält­nis es zu ihren (feh­len­den) Kin­dern steht.

Woolfs femi­nis­ti­sche Per­spek­ti­ve will nicht an männ­li­che Tra­di­tio­nen anknüp­fen. Statt­des­sen holt sie die geis­ti­ge Tätig­keit des Schrei­bens auf den Boden der Tat­sa­chen zurück. Aus eige­ner Erfah­rung weiss sie um die kör­per­lich beding­ten Unter­bre­chun­gen des Arbeits­all­tags, die, wie ihre Tage­bü­cher bele­gen, von Erkäl­tun­gen über PMS, Zahn­schmer­zen bis hin zu Erschöp­fungs­zu­stän­den rei­chen. Die­sen Zustän­den ein­ge­denk malt sie eine Zukunft des Schrei­bens aus, die dem Kör­per Rech­nung trägt. Denn Unter­bre­chun­gen, stellt sie fest, wür­de es im Leben von Frau­en immer geben. So also muss sich das Buch dem Kör­per anpassen.

Die Idee, dass die Fle­xi­bi­li­tät in der Kunst­form liegt, wirkt gera­de aus heu­ti­ger Sicht befrei­end. Stellt sie doch einen Gegen­vor­schlag zu Ver­ein­bar­keits­kon­zep­ten dar, die eine ste­te Jus­tie­rung des Kör­pers, ja des gan­zen Lebens zuguns­ten der Arbeits­form ein­for­dern. Frei nach Woolf lässt sich die Chan­ce auf eine bes­se­re Ver­ein­bar­keit auch anders den­ken: als ein Modell, in dem sich nicht der Kör­per der Arbeit, son­dern die Arbeit dem Kör­per anpasst.

Lite­ra­tur

Woolf, Vir­gi­nia. 2029. A Room of One’s Own.

Bild­nach­weis

Crown Tape­ten. Print­wer­bung aus den 1950er-Jahren.

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