„Vielleicht zersprang in diesem Moment etwas in mir, und vielleicht war das das Ende meiner Kindheit. Jedenfalls fühlte ich mich wie ein Gefäss, dessen Inhalt durch einen winzigen Riss unmerklich herausrieselte.“ S. 44
„Er hat es nicht getan, es machte ihm Spass, allem und jedem seine Bedeutung zu nehmen, ausser sich selbst und seinen Sachen.“ S. 66
„Ich entdeckte, dass ich eine Leere in mir hatte, die jedes Gefühl in kürzester Zeit verschlingen konnte.“ S. 81
Ich entdeckte, dass ich eine Leere in mir hatte, die jedes Gefühl in kürzester Zeit verschlingen konnte.
„Er glaubt, er hat mir durch das, was er mir angetan hat, was weggenommen. Aber er hat mir gar nichts weggenommen, ich hatte alles, ich habe alles.“ S. 93
„Sie beharrte sehr auf dem Hinschauen. Sagte, ich hätte Scheuklappen wie ein Pferd, ich würde zwar gucken, aber alles, was mich stören könnte, nicht sehen. Schau hin, schau genau hin, hämmerte sie mir ein.“ S. 98
„Wir beide sind nun mal so, bei schönen Gedanken werden wir schön, aber bei schlechten werden wir hässlich, die müssen wir uns aus dem Kopf schlagen.“ S. 141
„«Dann fick dich ins Knie», knurrte sie, «Schlimme Sachen, die du keinem erzählst, werden nachts, wenn du schläfst, zu Hunden, die dir den Kopf zerfressen.»“ S. 143
„«Wenn man dich zwingt, Dinge zu tun, die du nicht tun willst, und du gehorchst, ist das schlecht für den Kopf, es ist schlecht für alles.»
«Ist Gehorsam eine Hautkrankheit?»
Einen Moment lang sah er mich verblüfft an, er lächelte: «Bravo, genau das ist er, eine Hautkrankheit. Und du bist eine gute Medizin dagegen, bleib, wie du bist, sag immer alles, was dir in den Kopf kommt. Noch ein paar Plauderstündchen mit dir, und es geht mir garantiert besser.«
Impulsiv sagte ich:
«Ich will auch besser werden. Was muss ich tun?»
Der Priester antwortete:
«Den ständig lauernden Hochmut fernhalten.»
Und weiter?»
«Andere mit Güte und Gerechtigkeitssinn behandeln.»
«Und weiter?»
«Dann ist da noch etwas, was in deinem Alter am schwierigsten ist: Vater und Mutter ehren. Du musst es versuchen, Giannì, es ist wichtig.»
«Ich verstehe meinen Vater und meine Mutter nicht mehr.»
«Wenn du gross bist, wirst du sie verstehen.»
Alle sagten mir, wenn ich gross sein würde, könnte ich verstehen. Ich antwortete:
«Dann werde ich nicht gross.» S. 241
„Ich sagte nur beschämt: «Ich fühle mich hässlich und charakterlos, und trotzdem will ich geliebt werden.» Doch ich sagte es zu spät, in einem Atemzug, als er mir schon den Rücken zuwandte.“ S. 241f.
Ich sagte nur beschämt: «Ich fühle mich hässlich und charakterlos, und trotzdem will ich geliebt werden.»
„Seine wahre Daseinsform offenbarte sich, sobald er sich mit Büchern, Ideen, bedeutenden Fragen beschäftigen konnte.“ S. 249
„Sie sagte leise, wir müssten das, was wir seien, schützen, müssten uns unserer selbst bewusst sein.“ S. 266
Sie sagte leise, wir müssten das, was wir seien, schützen, müssten uns unserer selbst bewusst sein.
„Verzweifelt dachte ich: Wie zerstückelt doch alles ist, ich versuche, die Einzelteile zusammenzuhalten und schaffe es nicht, mit mir stimmt irgendwas nicht, mit allen stimmt irgendwas nicht, ausser mit Roberto und Giuliana.“ (S. 266)
Verzweifelt dachte ich: Wie zerstückelt doch alles ist, ich versuche, die Einzelteile zusammenzuhalten und schaffe es nicht, mit mir stimmt irgendwas nicht, mit allen stimmt irgendwas nicht, ausser mit Roberto und Giuliana.
„Poesie besteht aus Worten, genau wie das Schwätzchen, das wir hier gerade halten. Wenn ein Dichter unsere banalen Worte nimmt und sie vom Geschwätz befreit, dann offenbaren sie, aus ihrer Banalität heraus, eine unverhoffte Energie. Gott offenbart sich auf die gleiche Weise.“ S. 299
„Das ist Gott: ein Aufrütteln in einem dunklen Zimmer, dessen Boden, Wände Decke ich nicht mehr finde. Da gibt es nichts zu überlegen, nichts zu diskutieren. Es ist eine Frage des Glaubens. Wenn du glaubst, funktioniert es. Wenn nicht, dann nicht.“ S. 299
„Stell dir eine Ermittlung vor, wie in einem Krimi, nur dass das Rätsel – das Mysterium – bleibt. Religiosität ist ein stetiges Vordringen, um das zu enthüllen, was verhüllt bleibt.“ S. 299
„Wenn die Gotteslästerung mir auch nur einen kleinen Schritt nach vorn erlaubt, dann lästere ich Gott.“ S. 300
„Doch wenn sich die Hintergedanken nun gut in den Wörtern verborgen hätten und auch ihm entgangen waren?“ S. 377
Im Zug versprachen wir uns, so erwachsen zu werden, wie es keiner anderen vor uns je passiert war.
„Im Zug versprachen wir uns, so erwachsen zu werden, wie es keiner anderen vor uns je passiert war.“ S. 415, letzter Satz
Elena Ferrante: Das lügenhafte Leben der Erwachsenen. Übersetzung: Karin Krieger.
Suhrkamp Verlag, 2020.

Christine Hock
Christine hat das Sprach- und Lernzentrum academia mitgegründet, das sie jahrelang geleitet hat. Seit einem Jahr schreibt sie eine Doktorarbeit über Evaluationen an Hochschulen. Christine ist Mutter von drei Kindern und liest viel.