Jeden Tag wuchs ihr Bedürf­nis, allei­ne her­um­zu­lau­fen, und sie hat­te Lust, mit­ten auf der Stras­se wie eine Ver­rück­te zu schrei­en. «Sie fres­sen mich bei leben­di­gem Leib auf», sag­te sie sich manch­mal.“ S. 15


Sie hat­te die Vor­stel­lung immer weit von sich gewie­sen, dass die Kin­der ihren per­sön­li­chen Erfolg und ihre Frei­heit beein­träch­ti­gen könn­ten. Wie ein Anker, der einen mit nach unten reisst, der das Gesicht des Ertrun­ke­nen in den Schlamm zieht. Die­se Erkennt­nis hat sie anfangs total depri­miert. Sie fand es unge­recht und ent­setz­lich frus­trie­rend. Ihr war klar gewor­den, dass sie das Gefühl, unvoll­kom­men zu sein, die Din­ge nicht rich­tig zu machen, einen Bereich ihres Lebens zuguns­ten eines ande­ren zu opfern, nie wie­der los­wer­den wür­de. Sie hat­te ein Rie­sen­dra­ma dar­aus gemacht und par­tout nicht von ihrer Ide­al­vor­stel­lung der Mut­ter­rol­le abwei­chen wol­len. Hat­te dar­auf beharrt zu glau­ben, dass alles mög­lich sei, dass sie all ihre Zie­le errei­chen wür­de, dass sie weder ver­bit­tert noch erschöpft sein wür­de. Dass sie weder die Mär­ty­re­rin noch die Mut­ter Cou­ra­ge geben wür­de.“ S. 40f.

Ihr war klar gewor­den, dass sie das Gefühl, unvoll­kom­men zu sein, die Din­ge nicht rich­tig zu machen, einen Bereich ihres Lebens zuguns­ten eines ande­ren zu opfern, nie wie­der los­wer­den würde.


Es gibt auch Müt­ter, Müt­ter mit lee­rem Blick. Oder die­je­ni­ge, die eine erst kurz zurück­lie­gen­de Geburt an den Rand der Gesell­schaft ver­bannt und die da auf der Bank das gan­ze Gewicht ihres noch schlaf­fen Bau­ches spürt. Sie trägt schwer an ihrem Kör­per der Schmer­zen und Sekre­te, der nach sau­rer Milch und Blut riecht. Die­sem Leib, den sie her­um­schleppt und dem sie weder Pfle­ge noch Ruhe gönnt. Es gibt die lächeln­den, strah­len­den Müt­ter, die­se so sel­te­nen Müt­ter, an denen alle Kin­der­au­gen hän­gen.“ S. 109

Sie trägt schwer an ihrem Kör­per der Schmer­zen und Sekre­te, der nach sau­rer Milch und Blut riecht.


«Siehst du, alles ver­kehrt sich. Sei­ne Kind­heit und mein Alter. Mei­ne Jugend und sein Leben als Mann. Das Schick­sal ist ver­schla­gen wie ein Rep­til, es sorgt immer dafür, dass wir auf der fal­schen Sei­te lan­den.»“ S. 113


Als Myri­am schwan­ger wur­de, war er ver­rückt vor Freu­de, aber er kün­dig­te sei­nen Freun­den an, dass sein Leben sich des­we­gen nicht ändern soll­te. Myri­am sag­te sich, er habe recht, und betrach­te­te ihren sport­li­chen, gut aus­se­hen­den, unab­hän­gi­gen Mann mit noch grös­se­rer Bewun­de­rung. Er hat­te ihr ver­spro­chen, dar­auf zu ach­ten, dass ihr Leben freud­voll blie­be und nicht auf­hör­te, Über­ra­schun­gen für sie bereit­zu­hal­ten. «Wir wer­den rei­sen und den Klei­nen unter den Arm klem­men. Du wirst eine gros­se Anwäl­tin wer­den, ich wer­de gefei­er­te Künst­ler pro­du­zie­ren, und nichts wird sie ändern.» Sie haben lan­ge so getan, als ob, haben gekämpft.“ S. 116


Indem er Vater wur­de, hat­te er Prin­zi­pi­en und Ver­ant­wor­tung ange­nom­men, genau das, wovon er sich geschwo­ren hat­te, dass er es nie­mals haben wür­de. Sei­ne Gross­zü­gig­keit war nicht mehr bedin­gungs­los. Sei­ne Begeis­te­rungs­fä­hig­keit kühl­te ab. Sein Uni­ver­sum schrumpf­te.“ S. 118

 

Leï­la Sli­ma­ni: Dann schlaf auch du. Über­set­zung: Ame­lie Thoma.
Luch­ter­hand Ver­lag, 2017.