„Aber ich erfinde überhaupt nichts, ich muss nur zuhören, das Unausgesprochene ist vielsagender als das Gesagte.“ S. 40f.
„Im Grunde ist ja alles nur lebende Materie, zufällig aus langen organischen Ketten entstandenes Fleisch. Nichts als Technik – die Natur ist Technik, die Kultur ebenfalls, und die Wissenschaft kommt gleich danach, nur das Chaos ist nicht Technik –, gekoppelt mit dem wütenden Drang der Fortpflanzung.“ S. 46f.
„Was hatte ich denn am Ende Schlimmes getan. Vor Jahren war ich eine junge Frau, die sich verloren fühlte, das schon. Die Hoffnungen meiner Jugend schienen komplett zerstört, ich hatte den Eindruck, einen Rückfall zu erleben, zu meiner Mutter, zu meiner Grossmutter zurückzufallen, in die Reihe stummer, grimmiger Frauen, von denen ich abstammte. Verpasste Gelegenheiten. Die Ambitionen waren immer noch da, genährt von meinem jungen Körper, von einer Fantasie, die eine Idee nach der anderen ausheckte, doch ich spürte, dass mein Schaffensdrang zunehmend angeschnitten war von der Wirklichkeit des universitären Geschehens und den eventuellen Aussichten auf eine Karriere. Ich hatte das Gefühl, in meinem eigenen Kopf eingesperrt zu sein, ohne die Möglichkeit, mich selbst auf die Probe zu stellen, und ich war verzweifelt.“ S. 91
Ich hatte das Gefühl, in meinem eigenen Kopf eingesperrt zu sein, ohne die Möglichkeit, mich selbst auf die Probe zu stellen, und ich war verzweifelt.
„Was für eine Dummheit zu glauben, man könnte den eigenen Kindern etwas über sich erzählen, bevor sie nicht mindestens fünfzig sind. Von ihnen zu verlangen, als Mensch betrachtet zu werden, und nicht als Funktion. Zu sagen: Ich bin eure Geschichte, bei mir fangt ihr an, also hört mir zu, es könnte euch von Nutzen sein.“ S. 104
Was für eine Dummheit zu glauben, man könnte den eigenen Kindern etwas über sich erzählen, bevor sie nicht mindestens fünfzig sind. Von ihnen zu verlangen, als Mensch betrachtet zu werden, und nicht als Funktion. Zu sagen: Ich bin eure Geschichte, bei mir fangt ihr an, also hört mir zu, es könnte euch von Nutzen sein.
„Körperliche Müdigkeit ist wie ein Vergrösserungsglas. Ich war zu müde, um zu arbeiten, zu denken, zu lachen, zu weinen, diesen Mann zu lieben, der zu intelligent war, zu verbissen damit beschäftigt, seine Wette mit dem Leben zu gewinnen, zu abwesend. Liebe erfordert Energie, und die hatte ich nicht mehr.“ S. 105
„Ich wäre ich, würde Gedanken haben, die einzig und allein dem verworrenden Faden meiner Träume und Begierden folgten.“ S. 107
„Sie hielt mich für eine freie, unabhängige, feinsinnige, mutige Frau ohne dunkle Seiten, doch meine Antworten auf ihre drängenden Fragen hatte ich verschlüsselt wie eine Übung in Verschwiegenheit.“ S. 179
Sie hielt mich für eine freie, unabhängige, feinsinnige, mutige Frau ohne dunkle Seiten, doch meine Antworten auf ihre drängenden Fragen hatte ich verschlüsselt wie eine Übung in Verschwiegenheit.
„Vielleicht hatte sie es gemerkt und mir aus der Ferne geholfen, durch eine minimale Geste, und so mir selbst die Verantwortung für mein Leben überlassen.“ S. 181
Elena Ferrante: Frau im Dunkeln. Übersetzung: Anja Nattefort.
Suhrkamp Verlag, 2019.
Christine Hock
Christine hat das Sprach- und Lernzentrum academia mitgegründet, das sie jahrelang geleitet hat. Seit einem Jahr schreibt sie eine Doktorarbeit über Evaluationen an Hochschulen. Christine ist Mutter von drei Kindern und liest viel.