„Reden ist egoistisch, und Mütter sollten wohl besser den Mund halten. (…)
Ich will mich daher bei allen im Voraus entschuldigen. Entschuldigung. Entschuldigung. Entschuldigung.“ S. 7
Ich will mich daher bei allen im Voraus entschuldigen. Entschuldigung. Entschuldigung. Entschuldigung.
„Sind eigentlich alle Mütter Manichäerinnen? Das ist nur eine von Hunderten blöder Fragen, die man in Bezug auf die Mutterschaft noch nie gestellt hat. Nicht für das Drama der Kindheit interessiere ich mich, sondern für dieses neue Drama der mütterlichen Existenz (Ja, auch in meinen Träumen gibt es Kannibalen. O ja.), über das so wenig geschrieben wurde. Können Mütter etwa keinen Kugelschreiber halten? Oder liegt es einfach daran, dass wir beim Schreiben alle wieder zu Kindern werden?“ S. 50
„Die Fragen aber, die mein stillender Körper aufwirft, sind drängender für mich. Brauchen wir Geschichten, um Emotionen zu erzeugen, oder ist eine Emotion schon eine Geschichte? Oder, anders gesagt, worin besteht die Verbindung zwischen der Erzählung und meinen Alveolarzellen?
Ich vermute, dass ich – während ich das Zimmer nach dem Hunger am offenen Kamin oder dem Hunger in ihrem Schrei durchforste – einen Ort vor dem Beginn der Geschichten gefunden habe. Beziehungsweise genau den Ort, wo die Geschichten ihren Anfang nehmen. Wie sonst soll ich mir das Abrücken von der Sprache, das sich in meinem Gehirn vollzieht, erklären? Darum also schreiben Mütter nicht – weil Mutterschaft ebenso sehr im Körper stattfindet wie in der Vorstellung. Ich hatte mir das Gebären als eine Art Reise vorgestellt, von der aus man Berichte in die Heimat schreibt, aber selbstverständlich ist es das nicht – es ist Heimat. Alles andere ist jetzt «Ausland».
Ich hatte mir das Gebären als eine Art Reise vorgestellt, von der aus man Berichte in die Heimat schreibt, aber selbstverständlich ist es das nicht – es ist Heimat. Alles andere ist jetzt «Ausland».
Ein Kind ist aus mir herausgekommen. Ich kann das weder verstehen noch erklären. Ich kann nur sagen, mein früheres Leben ist mir fremd geworden. Kann nur sagen, dass ich für den Rest meines Lebens allem Kleinen verfallen sein werde. Verdammt noch mal.“ S. 57f.
„Schwangerschaft hört nicht auf, wenn sie draussen sind. Immer noch hänge ich an diesem Kind, stille immer noch meinen Hunger, um es zu stillen. Der einzige Unterschied ist die Distanz zwischen uns – all der zu überwindende Raum, all die zu durchmessende Luft. Luft, die es ein- und dann wieder ausatmen kann.“ S. 66
„Aber ich weiss, es hat auch damit zu tun, dass ich eine Gefangene bin – nicht nur mit ihren endlosen Bedürfnissen, sondern auch mit dieser unendlichen, blinden Liebe, die ich für sie empfinde.“ S. 67
Aber ich weiss, es hat auch damit zu tun, dass ich eine Gefangene bin – nicht nur mit ihren endlosen Bedürfnissen, sondern auch mit dieser unendlichen, blinden Liebe, die ich für sie empfinde.
„Die Schwangeren der Mittelschicht leben von gefiltertem Wasser und gegrilltem Wildlachs und zu viel Schokoladeneis. Und dennoch bleibt das überwältigende Gefühl, dass – egal wie richtig wir uns fortpflanzen – wir immer IRGENDETWAS FALSCH MACHEN! Und keiner weiss, was es ist. Alle Babys sind vollkommen. Sie werden uns geschenkt, damit wir sie durch irgendein winziges, aber katastrophales Fehlverhalten ruinieren können.“ S. 139
„Warum untersucht keiner die schädlichen Auswirkungen von Hausarbeit auf unsere ungeborenen Kinder? Aber gegen die Interessen der Industrie forschen Wissenschaftler nur selten. Sie glauben an Produkte.“ S. 57
„Manchmal kommen mir Wissenschaftler und Soziologen wie Riesenbabys vor. Sie hätten gerne, dass Mütter den lieben langen Tag, und zwar tagtäglich, ausschliesslich dem Kind zur Verfügung stehen. Sie reden wir acht Monate alte Babys mit Trennungsängsten. Wie Kleinkinder, die unter den unspezifischen und allgemeinen Wehwehchen leiden, welche eine «Mutter» provoziert – weil sie das Kind verlassen hat, um beispielsweise einkaufen zu gehen; weil sie es «verraten» hat, indem sie noch ein Kind bekam; oder weil es einen Hund gibt, den sie hin und wieder tätschelt; oder ein Buch, das sie lesen möchte; oder eine Fernsehsendung, die sie interessiert, oder irgendetwas anderes dergleichen, mit dem uns unsere Babys nicht so gerne beschäftigt sehen.
Ich unterschätze diese Angst nicht: Die Vorstellung, dass eine Mutter anderswo sein kann, dass sie sich anderen Dingen, anderen Menschen zuwendet, dass es andere Leute auf der Welt gibt, führt letztlich zum einzig möglichen Schluss: dass alle sterben müssen – einschliesslich der Mutter – , vor allem aber das grosse gewaltige «Ich». Kinder leben am Rand des Abgrunds, weswegen es wichtig ist, möglichst nett zu ihnen zu sein. Aber ebenso wenig, wie man gestatten kann, dass die Unersättlichkeit eines Kleinkinds eine Familie tyrannisiert, kann man es zulassen, dass das unstillbare Verlangen nach der Mutter die Gesellschaft bestimmt, auch wenn die Leute, die darunter leiden, schon mehr als dreissig Jahre alt sind.“ S. 140f.
Aber ebenso wenig, wie man gestatten kann, dass die Unersättlichkeit eines Kleinkinds eine Familie tyrannisiert, kann man es zulassen, dass das unstillbare Verlangen nach der Mutter die Gesellschaft bestimmt, auch wenn die Leute, die darunter leiden, schon mehr als dreissig Jahre alt sind.
„Kindliche Bedürfnisse sind real, besitzen jedoch keine irgendwie geartete «Wahrheit». Sie sind nicht wohl begründet. Gewiss, ich gehe – aber in fünf Minuten oder in fünf Stunden komme ich wieder zurück, und alles ist wieder gut. Mutterschaft muss Grenzen haben: nicht im geistigen Sinne, nicht einmal im emotionalen, aber zwischen, sagen wir halb fünf und fünf am Dienstagnachmittag muss es gewisse Grenzen geben.“ S. 142
Mutterschaft muss Grenzen haben: nicht im geistigen Sinne, nicht einmal im emotionalen, aber zwischen, sagen wir halb fünf und fünf am Dienstagnachmittag muss es gewisse Grenzen geben.
„Was mich anging, war Katholischsein Quatsch und bedeutete Jüdischsein nur noch mehr Abwasch. Alle Religionen haben jedoch etwas gemein, das den meisten politischen Systemen abgeht: Sie preisen und schätzen die Gestalt der Mutter.
Sie ist die Maschine, die verborgene Macht. Sie ist das Ideal, das verehrte, das wahrhaft geliebte. Was einen in gewisser Weise dafür entschädigt, dass sich andere vor einen in die Warteschlange drängeln und man aussieht wie eine Schlampe.
Und mehr noch. In der dritten Nacht des Lebens meiner Tochter blickte ich ihr in die Augen und spürte, dass nichts von all dem, was ich glaubte, mir dies erklären konnte. Es war ein peinlicher Augenblick. Ich glaube, ich sah ihre Seele. Ich war überzeugt, dass ein Teil von ihr uralt sei; und dieser Teil hatte den Beschluss gefasst, hier bei mir einen Neuanfang zu machen. Ich hatte ein weises Kind.“ S. 146
„Die Mechanismen des Schicksals, das unaufhaltsame Verstreichen ihrer Tage, das zu dem einen oder anderen Ende führen würde, wurde mir auf quälende Weise undurchsichtig. Tausend Dinge gab es, die diesem Kind schaden oder es mir gar entfremden mochten. Was konnte ich tun? Nichts. Mein Bestes.
All das sind Gefühle, auf die sich die Religionen verstehen.
Ich war, dachte ich mir, auf eine andere und vielleicht radikalere Weise Menschen geworden. Hatte etwas in den Strom der Zeit gleiten lassen. Was kann man da anderes tun, als dem Fluss zu vertrauen, als alles in die Hände einer höheren Macht zu legen?
Ach ja.
Und wer, wenn nicht der leidende Christus, könnte das Leiden begreifen, das die Mutterschaft mit sich bringt?
Aber ich werde dieser Verlockung widerstehen, wenn’s recht ist. Dennoch werde ich ihr widerstehen.“ S. 147
„Das Baby füllt seine Haut aus, ich nicht. Mein Haar, das die Kleine so liebt, zeigt schon die ersten Fäden und ist ungepflegt. Ich trage einen Trainingsanzug (was sonst?). Ich muss erkennen, dass ich die Grenze zwischen Leben und Altern, Lebendigsein und Altwerden überschritten habe. Und dennoch mag die Kleine nichts lieber als mein kitzliges Haar und ist ganz verrückt nach den diversen Reissverschlüssen meines Trainingsanzugs. Sie blickt in den Spiegel und ruft: Mama, Mama!
Nichts ist damit vergleichbar. Ich werde noch mehr Kinder kriegen müssen. Werde mich immer weiter fortpflanzen müssen; damit sie meine angebetete Nichtexistenz immer weiter multipliziert, bis ich ein völliges Wrack bin, total glücklich und kaum mehr vorhanden.“ S. 234
Anne Enright: Ein Geschenk des Himmels. Erlebnisse einer Mutter. Übersetzung: Maria Mill.
DuMont. 2004.
Christine Hock
Christine hat das Sprach- und Lernzentrum academia mitgegründet, das sie jahrelang geleitet hat. Seit einem Jahr schreibt sie eine Doktorarbeit über Evaluationen an Hochschulen. Christine ist Mutter von drei Kindern und liest viel.