Jede Sprache hat ihre Lücken. Eine solche klafft im Deutschen für das Verhältnis der Mächtigen zu Künstlern und Kunstwerken.
Mäzenatentum? Untauglich, weil es Uneigennützigkeit suggeriert.
Kunstförderung? Bedeutungsmäßig weit daneben, weil es dabei nicht vorrangig um «Kunst» geht.
Kunstbestellung? Amazon war in der Renaissance noch nicht online.
Kunstbeauftragung? Kommt der Sache schon etwas näher, unterschlägt jedoch die damit verknüpften Zielvorstellungen und scheidet als Wortmonstrum ohnehin aus.
Künstler-Sponsoring? Hat den gewichtigen Vorteil, das ausgeprägte Eigeninteresse des Geldgebers anzuzeigen, vernachlässigt jedoch den Aspekt des Sammelns und Besitzens.
Die ganze Komplexität des Tätigkeitsfeldes lässt sich von der Seite der Akteure leichter erfassen. Vollständig beschreiben lassen sie sich als Kunstkennerschaft zelebrierende, Eingeweihtheit vorspiegelnde, Status prätendierende, Legitimität verkündende, Propaganda kreierende, Distinktion vorlebende und höheres Wesen inszenierende Imagekonstrukteure. Abgekürzt: Virtuos*innen der Virtualität, noch knapper: ViVis.
ViVi-Level I
Die unterste Stufe der damit verbundenen Aktivitäten ist der Erwerb einer Kunstsammlung, am besten gemischt aus antiken Stücken und Werken renommierter moderner Meister. Wer gesellschaftlich dazugehören will, braucht zwischen 1500 und 1800 eine solche Kollektion, die man höher gestellten Besuchern vorweisen kann – fehlt sie, gilt man als ungebildet, ja barbarisch.
… hier ging es allein darum, ein Status-Soll zu erfüllen …
Parvenüs wie der zum Kardinal und lebenden Familien-Nummernkonto erhobene Scipione Caffarelli Borghese, Neffe Papst Pauls V. (1605–1621), legten sich eine Sammlung daher reflexartig zu. Sie schafften sie sich wie livrierte Diener oder Kutscher an, am liebsten preisgünstig aus dem Nachlass verstorbener und verarmter Aristokraten. Von Prestigezugewinn konnte dabei kaum die Rede sein, hier ging es allein darum, ein Status-Soll zu erfüllen oder, umgekehrt ausgedrückt, Rufschädigung durch den Eindruck des Kulturbanausentums zu vermeiden.
Nepotismus: Papst Paul V. erhob seinen Neffen Scipione Caffarelli Borghese zum Kardinal und stattete ihn mit immensen Summen aus, die jener u. a. für den Bau und die Sammlung der Villa Borghese verwandte. Im Bild: Apollo und Daphne von Gian Lorenzo Bernini in der Villa Borghese.
ViVi-Level 2
Deutlich größere Ausgestaltungschancen von Alter ego bot die Anlage einer gezielten, nach Stilrichtung, Themen und Künstlern sortierten, also Connoisseurtum, Geschmack und höhere Lebensart spiegelnden Sammlung. Wer eine innovative Kollektion wie der aus Turin stammende Gelehrte Cassiano dal Pozzo (1588–1657) vorweisen konnte, machte sich für den gehobenen Fürstenratgeberdienst attraktiv und konnte bei Hof andocken.
Wer darüber hinaus über die Autorität und das Agentennetz verfügte, bei renommierten Künstlern nach eigenen Themen- und Geschmacksvorstellungen neue Werke in Auftrag zu geben, konnte sich zur arbitra elegantiae, zur Schiedsrichterin der Vornehmheit, neudeutsch: Influencerin in Sachen höfischer Raffinesse profilieren. Isabella d’Este (1474–1539), ihres Zeichens Markgräfin von Mantua, unterhielt die exklusiven Kreise mit dem so geschätzten Ranking-Ratespiel: Fresko, Fresko an der Wand, wer ist der grösste Maler im Land? Der von ihr intensiv umworbene Leonardo da Vinci machte dabei zu ihrem Leidwesen den Spielverderber, da er ihr das immer wieder erbetene bzw. angeforderte Porträt in Farben verweigerte – als Verächter der Mächtigen wusste er, warum.
Für kostspielige eigene Projekte fehlte der umtriebigen Markgräfin jedoch das nötige Geld; das brauchte ihr Gatte, um sein Duodezfürstentum in unruhigen Zeiten über Wasser zu halten. Dadurch blieb sie bei aller unbestrittenen Kennerschaft und Fähigkeit zur Selbstdarstellung eine ViVi zweiten Ranges.
ViVi-Level 3
Weitgehend unbeschränkte Geldmittel und grenzenloser Bedarf an multimedialer Verherrlichung, dazu die politischen Durchsetzungschancen, ein hochkarätiger Braintrust aus feinsinnigen und dienstbereiten Intellektuellen, neu gewonnene Einsichten in die Lenkbarkeit des Menschen durch das Auge und ein Reservoir an hoch begabten Künstlern, die bereit waren, die kunstvoll ersonnenen Propaganda-Strategien an Kirchen- und Palastwänden, auf Residenzhöfen und öffentlichen Plätzen umzusetzen – all das kam im Florenz der Medici zwischen 1434 und 1494 in einer Konstellation von einzigartiger Verdichtung zusammen. Die Stadt am Arno wurde so zum Experimentierfeld einer neuartig konstruierten Medienlandschaft, zu einem Laboratorium der Menschenbeeinflussung mittels Gesichtssinn.
Die Stadt am Arno wurde zu einem Laboratorium der Menschenbeeinflussung mittels Gesichtssinn.
Wie Pilze schossen jetzt prachtvolle Kirchen und Klöster, von der Toskana bis Jerusalem, mit dem Medici-Kugelwappen an der Frontseite empor. In florentinischen Sakral- und Palasträumen sah man Cosimo, den Chef des Hauses Medici und bis heute unbestrittenen Ober-ViVi, als Retter vor einer neuen Sintflut, als Astrologe im Gefolge der heiligen drei Könige im Kloster San Marco sowie posthum ihn und seine beiden Söhne als die drei Weisen aus dem Morgenland auf einem Gemälde, das Botticelli für einen treuen Gefolgsmann der Medici malte.
Über der alten Familiengrabstätte in San Lorenzo prangte ein nächtlicher Sternenhimmel, der die Medici als auserwählte Werkzeuge der Vorsehung zeigte, dazu berufen, Florenz einem neuen Goldenen Zeitalter entgegenzuführen. Die Fülle solcher Werke war so groß, dass man es sich erlauben konnte, Botticellis «Primavera», das heute (zusammen mit seiner «Geburt der Venus») meist bewunderte Bild der Uffizien und vielleicht der Welt, in nebensächlichen Räumen einer Nebenlinie aufzuhängen.
Anbetung der Heiligen drei Könige (1476) von Sandro Botticelli. Cosimo de‘ Medici kniet als Weiser aus dem Morgenland vor Maria. Im roten Mantel in der Mitte kniet Cosimos Sohn Piero; rechts daneben, Piero zugewandt, Giovanni, der jüngere Sohn Cosimos.
Zu behaupten, dass die Medici durch ihr 1434 noch fernes Ziel, eine fürstliche Herrschaft über Florenz und die Toskana zu gewinnen, vorrangig durch die suggestive Macht der Bilder errungen hätten, hieße, diese Macht zu überschätzen. Zum Machterwerb wesentlich beigetragen, nämlich Mentalitäten umgeformt und damit die Bereitschaft, fürstliche Herrschaft anzunehmen, haben sie jedoch fraglos. Und in den langen Jahrzehnten des Macht- und Bedeutungsverlusts bis zum Aussterben in der männlichen Hauptlinie 1737 haben sie von diesem Prestige kräftig gezehrt. Sechs Jahre später war davon neben den Palästen nur noch die kostbare Bilderkollektion übrig, die von Anna Maria Luisa de’ Medici, Witwe des Kurfürsten von der Pfalz, als letzter Vertreterin der Dynastie klugerweise der Stadt Florenz geschenkt wurde.
Die Medici hatten sich immer als Inkarnation ihrer Stadt verstanden. Dieser ihre Schätze zu hinterlassen, so dass sich damit ein Kreis schloss, war ein letzter grandioser Akt der Selbstinszenierung: scheinbar bescheiden und pietätvoll, ja demütig, doch zugleich stolz, ja erhaben: Wir treten jetzt ab, aber wir haben das alles hervorgebracht und bleiben daher ewig präsent. Vielleicht kann dieses Beispiel heutige Sammler zur Nachahmung anspornen.
Vielleicht kann dieses Beispiel heutige Sammler zur Nachahmung anspornen.
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Volker Reinhardt
Volker Reinhardt, geb. 1954, lehrt Allgemeine und Schweizer Geschichte der Neuzeit an der Universität Freiburg i. Üe. Sein Interesse gilt seit jeher der frühen Neuzeit Italiens, seiner Familien, Päpste und Machthaber. Er verfasste Bücher zu den Borgias, den Medicis, zu Machiavelli und Leonardo da Vinci, zu de Sade und der Geschichte der Schweiz.
Uneigennütziges Mäzenentum? Für mich stellt sich die Frage, ob es das historisch jemals gab, sich überhaupt suggerieren lässt oder auch im heutigen Sprachgebrauch noch so nachklingen kann. In der Mediävistik jedenfalls geht man davon aus, dass bereits die Förderung der (fahrenden) Dichter des 12./13. Jahrhunderts dazu da war, zumindest symbolisches Kapital aus ihren Werken zu schlagen. Zwar war das dann nicht wie beim Sammler materiell, was flüchtig gesungen wurde, zählte: nämlich die Propaganda. Aber auch ohne „sammelbaren“ Prachtcodex wurden schon damals die Mächtigen dank der Dichtern und Sänger mächtiger. Kunst ist halt doch durchweg, so scheint es zumindest mir, eine Hure. Da hilft auch die schöne Idee vom aus sich selbst erschaffenden Genie nichts. Leider! (Vielen Dank für den schönen Artikel, der das dann ja auch bestätigt)
Sehr geehrter Herr Däumer,
vielen Dank für Ihren anregenden Kommentar. Ich glaube auch, dass es nie anders war. Die Mächtigen haben zu allen Zeiten Unsummen für Kriege und andere zerstörerische und unsinnige Projekte hinausgeworfen – dass Künstler und Kunst auf ihre Wise ihren Anteil abzweigen, ist verständlich und verzeihlich, dass das seinen Preis – eben Propaganda – hatte, ebenfalls, zumal in so viele Propagandawerke subversive, manchmal Gegenakzente setzende Zwischentöne eingehen, wie etwa bei Michelangelo.
Mit herzlichen Grüssen
Ihr
Volker Reinhardt
Lieber Herr Reinhart,
sind nicht jüngst französische Familien Ihrem Plädoyer großzügigst gefolgt, als sie Hunderte Millionen Euros für die Restauration der abgebrannten Notre Dame spendeten?
Für Unmut mag das französische Beispiel gesorgt haben, weil abermals die „gebende Hand“ sich in ewigen, d.h. immobilen Symbolen zu verwirklichen sucht. In Basel haben Stiftungen und Mäzene mehr als 100 Millionen Franken in den Erweiterungsbau des Kunstmuseums eingebracht. Als das Werk stand, klaffte in den Betriebskosten ein Loch von zwei Millionen. Um das zu stopfen, ließ sich aber niemand mehr blicken.
Meine Frage: Ist das ein historisch erlerntes Muster, mit dem die Spendablen sich in ewig währende Kunstwerke investieren, sich aber bei laufenden Kosten wegducken – sofern es nicht gerade um eine Stiftungsprofessur geht? Wie verhielten sich dazu die italienischen Familien?
Danke übrigens für den erhellenden Beitrag.
Vielen Dank für Ihre interessante Nachricht und Frage. Ich glaube, dass Sie damit einen sehr wesentlichen Aspekt ansprechen: Auch und gerade heute soll „Grosszügigkeit“ sichtbar und dauerhaft markiert sein: Demgegenüber fällt unspektakuläres oder gar anonymes Spenden stark ab. Man könnte das mit dem Einbindungsverlust von Religionen erklären, der zur Folge hat, dass Geben allein für Gottes Auge unattraktiv geworden ist. Doch wenn man historisch zurückblickt, gewinnt man den Eindruck, dass es schon immer so war – sehen und gesehen werden.
Herzlichst
Ihr
Volker Reinhardt
Danke für diesen Bericht. Eher Kunst-Laie und Nichtakademiker, möchte ich, wie in obigen Kommentaren bereits ausgeführt, bemerken, dass sich die Verhältnisse heute doch immer noch so zeigen. Der Neoliberalismus als Gesellschaftsordnung scheint mir eher ein Rückschritt in vormoderne feudale Zeiten zu sein, und von da kommt wohl der Umstand, auch aufgrund der inneren Struktur des Neoliberalismus, dass „Gönnerschaft“ wieder an das (opulente) Zeigen von Macht gekoppelt ist. Insofern wird der moderne Mythos der Freiheit der Kunst (und der Wissenschaft (siehe den Bericht der Avenue zur Akademia)) ins Buchstäbliche gegroundet: Man ist so frei, ein Bild zu malen oder zu kaufen, sich eine Theorie auszudenken oder sie in Auftrag zu geben, um an Macht partizipieren zu können/möglichst viel davon zu erlangen. Die „kritische“ Rolle der Künstler und Intellektuellen/Wissenschaftler hat mich dabei, gerade im mythischen Postmodernismus, immer irritiert, sodass ich zum Schluss gekommen bin, dass man ein solches „gespaltenes Begehren“ zwischen Machtanspruch und Anspruch auf Machtkritik eher psychologisch verstehen muss. Ein halbes Jahrhundert thematische Kritik hat nichts gebracht, vielleicht eher noch zur Verschlimmerung dazubeigetragen. An was liegt es, dass es so ist, wie es ist, nach Jahrzehnten der Kritik und des Aktivismus?