Die französische haute cuisine gilt in der westlichen Welt als Mutter der Gourmet-Küche. Sie entstand im 17. Jahrhundert im Zuge einer Zivilisierung des kriegerischen Adels. Das bürgerliche Zeitalter standardisierte daraufhin die höfische Küche, so dass sie sich dank Restaurants und Hotels in ganz Europa ausbreiten konnte. Bis heute geblieben ist ihr ein Innovationszwang, der auf andere Küchen ausstrahlt.
Sprechen wir von der französischen Küche, meinen wir meist die gehobene Küche, je nach Epoche und Sprachgebrauch auch als grande oder haute cuisine bezeichnet. Ihr attestieren wir im Vergleich zu den französischen Regionalküchen und zu den Küchen anderer europäischer Länder ein besonderes Maß an Raffinesse, Delikatesse und Finesse.
Die französische haute cuisine ist das Resultat eines mehr oder weniger radikalen Bruchs mit den Traditionen der spätmittelalterlichen Herrschaftsküche. Diese basierte auf der Verwendung von teuren exotischen Gewürzen, und die Kochmethoden waren, dem Stand der Küchentechnik entsprechend, einfach. Im Vordergrund standen nicht einzelne Gerichte. Was zählte, war vielmehr der Gesamteindruck, den die aufgetischten Speisen auf die Tafelnden machten.
Auch im 16. Jahrhundert hatte sich an dieser Tradition kaum etwas geändert. Über mehr als hundert Jahre wurde in Frankreich kein einziges Kochbuch gedruckt, das sich wesentlich von seinen Vorgängern unterschied. Erst im Jahre 1604 erschien mit Lancelot de Casteaus Ouverture de cuisine ein Kochbuch in französischer Sprache, das sich nicht mehr an den mittelalterlichen Kochtraditionen orientierte, sondern einen neuen kulinarischen Einfluss erkennen ließ: den der italienischen Renaissanceküche. Wie Bartolomeo Scappis 1570 veröffentlichtes prachtvolles Kochbuch Opera bezeugt, hatte die Kochkunst im Italien der Spätrenaissance ein in Europa bis dahin unerreichtes Niveau gastronomischer Raffinesse erreicht.
Geschmack
Trotz der nachlassenden politischen und kulturellen Bedeutung Italiens deutete zu Beginn des 17. Jahrhunderts nichts darauf hin, dass Frankreich wenige Jahrzehnte später das Zentrum verfeinerter Koch- und Esskultur werden sollte.
Wie aber kam es in Frankreich zum Bruch mit den mittelalterlichen Küchentraditionen und zur Geburt der grande cuisine? Handelt es sich dabei um eine zufällige Entwicklung, um eine Laune der Geschichte? Oder steckt ein gesellschaftlicher Strukturwandel dahinter? Oder ist es gar das Verdienst einer einzigen Person?
Konkret: War Katharina von Medici dafür verantwortlich? Diese kam 1533 im Alter von 14 Jahren nach Frankreich, um den gleichaltrigen Heinrich von Orléans, den späteren König Heinrich II., zu heiraten. Die von ihr mitgebrachten Köche und Konditoren sollen in der Folge die französische Herrschaftsküche revolutioniert haben. Diese häufig kolportierte Legende hält jedoch den historischen Tatsachen nicht stand, denn die umwälzenden Veränderungen in den Küchen der französischen Aristokratie fanden nicht im 16., sondern in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts statt.
Neben anderen Feinheiten erkor die höfische Aristokratie nun auch die Küche und den Esstisch zu einem wichtigen Demonstrationsfeld sozialer Distinktion.
Die Geburt der grande cuisine ist nicht das Werk einer einzelnen Person und ihrer Entourage. Sie ist vielmehr vor dem Hintergrund der Pazifizierung des Kriegeradels am Hofe und der Herausbildung der absolutistisch-höfischen Aristokratie zu sehen. Bemerkenswerterweise weichten im Zuge dieses Prozesses die Standesschranken auf: Aristokratische und großbürgerliche Milieus begannen sich gegenseitig zu durchdringen. Damit wurde die bis dahin in ihrer Elitestellung unangefochtene Aristokratie gezwungen, ihr Verhalten und ihren Umgang so auszuformen, dass die soziale Distanz zumindest symbolisch gewahrt blieb. Kleine, unscheinbare Details wurden bedeutungsvoll. Neben anderen Feinheiten erkor die höfische Aristokratie nun auch die Küche und den Esstisch zu einem wichtigen Demonstrationsfeld sozialer Distinktion.
Zwar boten bereits die Speisen der mittelalterlichen Festküche ein Spektakel – zumindest dem Auge. Der französische Hof aber schenkte nun dem Essen selbst seine volle Aufmerksamkeit. Die Art und Weise, wie eine Mahlzeit vom Tischdekor, der Organisation der Bedienung, der Auswahl und Zubereitung der Speisen bis hin zu den Tischmanieren inszeniert wurde, gab nicht nur Aufschluss über den Stand, sondern auch über den Status innerhalb des Standes. Das Referenzmodell, nach dem man sich zunächst in Frankreich, später in ganz Europa orientierte, war die Adelsgesellschaft am Hof Ludwigs XIV.
„Die maßgebende, höfische Gesellschaft bildete sich, wie man weiß, in Frankreich. Von Paris aus breiteten sich die gleichen Umgangsformen, die gleichen Manieren, der gleiche Geschmack und die gleiche Sprache für kürzere oder längere Zeit über alle anderen Höfe Europas aus.“ (Elias 1997 [1939]: 12).
Das Zelebrieren guter Manieren und guten Geschmacks wurde zum Gegenstand häufig wechselnder Moden. Sie machten den Parvenüs, die immer dann, wenn sie glaubten, durch Prunk und Aufwand mit den Edelleuten alten Schlags gleichziehen zu können, von neuem klar, dass sie immer noch weit von ihrem Ziel entfernt waren, in der Hierarchie aufzusteigen.
Komplexe Kochmethoden und raffinierte Küchenkreationen demonstrierten fortan die sozialen Unterschiede.
Im Zuge dieses Strukturwandels entwickelte sich ein neuer kulinarischer Stil, der mit den aus dem Mittelalter überlieferten Gewohnheiten radikal brach. La Varennes Le cuisinier françois aus dem Jahre 1651 war das erste einer Reihe von Kochbüchern, die in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts für die gens de qualité ein neues kulinarisches Savoir-vivre prägten. Indem La Varenne im Titel das Adjektiv „französisch“ verwendete, machte er deutlich, dass man in den Großküchen der französischen Aristokratie nunmehr eine eigenständige Kochkunst praktizierte, die sich von gastronomischem Sachverstand leiten ließ und als Ausdruck von Zivilisiertheit und höfischer Etikette den guten Geschmack ins Zentrum ihrer Bemühungen rückte.
Worin bestand dieser neue Stil? Zunächst ging der fürs Mittelalter typische ostentative Gewürzverbrauch drastisch zurück. Mit den Entdeckungsreisen und den vermehrten Handelskontakten verloren die exotischen Produkte mehr und mehr ihre Exklusivität und somit auch ihre Funktion als Medien sozialer Distinktion. Ihr Konsum war nicht länger einer schmalen Eliteschicht vorbehalten. Und da Muskatnuss, Gewürznelken, Zimt, Zucker und Pfeffer längst Einzug in die Küchen des gehobenen Bürgertums gehalten hatten, waren sie nicht länger geeignet, den Unterschied zwischen der Herrschaftsküche und der bürgerlichen Küche zu markieren. Komplexe Kochmethoden und raffinierte Küchenkreationen demonstrierten fortan die sozialen Unterschiede.
Nur wenige Jahre nach La Varenne gelangten auch andere Küchenmeister mit ihren Rezeptsammlungen an die Öffentlichkeit. So etwa 1654 Nicolas de Bonnefons mit Les délices de la campagne, 1656 Pierre de Lune mit Le cuisinier und 1674 ein gewisser L. S. R. (es ist nicht bekannt, wer sich hinter dem Pseudonym versteckt) mit L’art de bien traiter. Ihre Bücher bestätigen, dass La Varennes Werk Anfang und Teil einer umfassenden Küchenrevolution war, die die gehobene Gastronomie auch außerhalb Frankreichs grundlegend und nachhaltig verändern sollte.
Systematik
Obwohl die Kochbücher den kulinarischen Umbruch öffentlich verkündeten, setzten sich die neuen Standards vorerst nur in den Großküchen der europäischen Adelspaläste durch. Gleichwohl zeichnete sich im 18. Jahrhundert eine „Ausweitung der kulinarischen Kampfzone“ ab. Stehen die beiden Begriffe grande cuisine und haute cuisine für eine, wie der Name andeutet, aristokratische Tafelkultur, die in jeder Beziehung keinen Aufwand scheute, so etablierte sich im Laufe des 18. Jahrhunderts die cuisine bourgeoise. Die bürgerliche Koch- und Tafelkultur orientierte sich zwar an den kulinarischen Standards der grande cuisine, doch bemühte sie sich zugleich, distinktive Wirkung und ökonomischen Aufwand in Balance zu halten.
Die cuisine bourgeoise grenzte sich ihrerseits von der cuisine paysanne ab, jener eher schlichten, saisongebundenen Küche der Landbevölkerung, die auf der Verarbeitung und der Zubereitung von lokalen und regional erzeugten Produkten beruht und die damit auf ihre eigene Art die Vielfalt und den Reichtum der Küchenkultur Frankreichs unterstreicht. Im 19. Jahrhundert schafften sogar zahlreiche, zuvor wenig beachtete Spezialitäten der französischen Landküchen den „sozialen Aufstieg“: Sie wurden in den kulinarischen Schatz der cuisine bourgeoise, ja sogar der haute cuisine aufgenommen.
Waren die privaten Soupers in den Adelspalais die charakteristische gastronomische Ausdrucksform der höfischen Gesellschaft des 18. Jahrhunderts gewesen, so avancierten im 19. Jahrhundert die Restaurants, die grundsätzlich jedem offenstanden, zu deren Pendants in der bürgerlichen Gesellschaft. Vieles von dem, was die Hofküche an Kochtechniken, Zubereitungsarten und Essenskreationen entwickelt hatte, fand im 19. Jahrhundert Eingang in das kulinarische Programm der Restaurantküchen, die nun zu den neuen Prägezentren der haute cuisine aufstiegen.
Einzelne Gerichte entstehen durch das geschickte Kombinieren kulinarischer Bausteine.
Nicht zu unterschätzen ist dabei der Einfluss zweier herausragender Köche , die – jeder auf seine Weise und in seiner Zeit – die französische Hochküche beeinflussten: Antonin Carême (1784–1833) und Auguste Escoffier (1846–1935). Carême erweiterte, modifizierte, systematisierte und kodifizierte das vorhandene Küchenwissen und legte mit seiner Arbeit und seinen Publikationen das solide Fundament für die französische haute cuisine des 19. Jahrhunderts. Seine Küche basiert auf einer Reihe von Grundzubereitungen. Die einzelnen Gerichte entstehen durch das geschickte Kombinieren dieser kulinarischen Bausteine. Bis heute zeichnet sich die klassische französische Hochküche durch diese modulare Struktur aus.
Nach der Institution des Restaurants entstand mit dem Grand Hotel gegen Ende des 19. Jahrhunderts ein weiteres gastronomisches Gravitationszentrum, das untrennbar mit dem Namen von Auguste Escoffier verbunden ist. Gemeinsam mit dem Schweizer Hotelier César Ritz formte er den gastronomischen Stil der großen Hotelpaläste. Diese dienten dank der Erschließung Europas durch die Eisenbahn in den 1880er Jahren zunehmend als illustre Aufenthalts- und Begegnungszentren für die haute volée.
Dazu gesellten sich die fast zwanghaften Bemühungen, die neuigkeitsversessenen Gäste mit neuen Kreationen zu überraschen und zu beeindrucken.
Auch wenn Escoffier für eine Küche der Klarheit plädierte und die Verwendung von zu vielen Ingredienzien ablehnte, war seine haute cuisine nicht der Einfachheit verpflichtet. So wie die imposante Burg‑, Tempel- oder Palastarchitektur der Grands Hotels Exklusivität, Macht und Reichtum symbolisierte, so war auch seine Küche darauf ausgelegt, zu imponieren. Für diesen Küchenstil charakteristisch waren die aufwendigen und – im Vergleich zu heute – opulenten Menüs sowie die Verwendung ausgesuchter Edelprodukte wie Kaviar, foie gras oder Trüffel.
Im Savoy Hotel London arbeiteten sie erstmals zusammen: César Ritz als Hoteldirektor und Auguste Escoffier als Küchenchef.
Escoffiers gastronomisches Regelwerk dominierte die internationale Hochküche bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts. Obwohl Escoffier selbst ein Neuerer gewesen war, der seine Küche an die Lebensgewohnheiten und Bedürfnisse der Eliten seiner Zeit angepasst hatte, erstarrte in der Folge sein Küchenstil zu einem Dogma, das bis in die 1960er Jahre die gehobene Gastronomie prägte.
Innovation
Doch die Zeiten hatten sich geändert. Im Zuge des wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Aufbruchs in der Nachkriegszeit und des damit einhergehenden kulturellen Wandels distanzierten sich einige jüngere französische Küchenchefs von der überladenen, butter‑, mehl- und saucenreichen Hochküche der Jahrhundertwende. Paul Bocuse, Jean und Pierre Troisgros, Michel Guérard, Alain Chapel, Alain Senderens und andere begannen – jeder auf seine Manier – eine zeitgemäße, leichtere und innovative Küche zu praktizieren, die anfangs der 1970er Jahre unter dem Sammelbegriff nouvelle cuisine Furore machen sollte.
Mit der Ausbreitung der nouvelle cuisine weit über Frankreich hinaus nahm der Innovationsdruck auf die Köche enorm zu.
Dank der geschickten Selbstinszenierung und der medial mitgeschürten Begeisterung für das Neue erlangten viele der jungen Chefs gar den Status gefeierter Stars. Damit änderte sich freilich auch ihr berufliches Selbstverständnis. Zeichnete sich bis dahin ein guter Koch in erster Linie dadurch aus, dass er es – einem Musiker gleich – verstand, dem riesigen Gastronomierepertoire entnommene kulinarische Werke virtuos zu interpretieren, so versuchten – um beim Bild aus der Musik zu bleiben – die Exponenten der nouvelle cuisine, sich weniger als Interpreten denn als Komponisten zu profilieren. Bis in die 1970er Jahre hatten sich die Menükarten in den Hochküchen-Restaurants nur langsam geändert. Man setzte auf die Klassiker des Hauses und begnügte sich damit, pro Jahr ein oder zwei neue Gerichte einzuführen. Mit der Ausbreitung der nouvelle cuisine weit über Frankreich hinaus, die durch die große Medienpräsenz ihrer bekanntesten Exponenten beschleunigt wurde, nahm der Innovationsdruck auf die Köche enorm zu.
… Molekularküche, dekonstruktivistische Avantgardeküche, nordische Küche oder radikale Regionalküche …
Wie in der haute couture, wo der schnelle Modewechsel seit langem zu den Grundkonstanten der Branche gehört, avancierte nun auch in den Lokalen der neuen Kreativgastronomie die ständige Erneuerung des Speisenangebots zu einem von Gastroführern und Gästen nicht selten überbewerteten Qualitätskriterium. Wie auch immer die gastronomischen Modetrends heißen, die in jüngster Zeit proklamiert worden sind – Molekularküche, dekonstruktivistische Avantgardeküche, nordische Küche oder radikale Regionalküche –, eines ist ihnen allen gemeinsam: Sie alle sind geprägt von den Kochtechniken, den Zubereitungsarten und dem enorm vielfältigen und variantenreichen kulinarischen Repertoire der französischen haute cuisine. Und sie selbst ist seit ihren Anfängen in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts zu einem verästelten und weiterhin wachsenden Gebilde nationaler und internationeler Strömungen, Tendenzen und Moden geworden.
Literatur
Elias, Norbert. 1997 [1939]. Über den Prozess der Zivilisation. Soziogenetische und psychogenetische Untersuchungen,Frankfurt a. M.
Freedman, Paul (Hg.). 2007. Essen. Eine Kulturgeschichte des Geschmacks, Darmstadt.
Mennell, Stephen. 1985. All Manners of Food: Eating and Taste in England and France from the Middle Ages to the Present, Oxford u.a.
Pitte, Jean-Robert. 1991. Gastronomie française. Histoire et géographie d’une passion, Paris.
Wheaton, Barbara Ketcham. 1983. Savoring the Past: The French Kitchen and Table from 1300 to 1789, Philadelphia.
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Rudolf Trefzer
Rudolf Trefzer ist promovierter Historiker, Publizist und Mitarbeiter von Radio SRF. Er befasst sich schwerpunktmässig mit Themen der Koch‑, Ess- und Trinkkultur. Neben zahlreichen Artikeln in Zeitungen und Zeitschriften ist von ihm im Chronos Verlag das Buch Klassiker der Kochkunst. Die fünfzehn wichtigsten Rezeptbücher aus acht Jahrhunderten erschienen. Er lebt in der Nähe von Zürich.
Zunächst einmal vielen Dank für diese wunderbare Einführung in die Geschichte des Kochens und in die historische Entwicklung der gehobenen Küche. Wenn man sich den Beitrag näher anschaut, müsste das ja bedeuten, dass es im Laufe der Zeit zu einer Verfeinerung des guten Geschmacks und zu einer zunehmen-den Distinguiertheit der Tischsitten gekommen ist – und zwar durchgängig in allen bürgerlichen Schichten. Doch bei genauerer Betrachtung habe ich eher den Eindruck, dass die Kunst des Kochens heutzutage vor allem im Fernsehen präsentiert wird. Anders ist die Inflation von Kochsendungen – zumindest im deutschen TV – nicht zu erklären. Doch war bewirken diese Sendungen? Kochen wir jetzt wirklich öfter und besser? Wohl kaum! Wenn nicht, woran mag das liegen? Denn der Trend zu Fast Food-Gerichten, die für den schnellen Verzehr produziert werden, ist ja – vor allem bei der jüngeren Generation – nach wie vor ungebrochen
Wenn ich mir die „Meisterköche“ im Fernsehen und ihre Gerichte anschaue, fällt mir Folgendes auf: In der Regel werden nur Fleisch- und Fischgerichte gezeigt, weil das ganz offensichtlich den Massengeschmack befriedigt. Selten genug kommen Soja- und andere vegane Gerichte ins Spiel. Alle Zutaten sind bereits fertig: das Gemüse ist geschnitten, das Fleisch filettiert, die dazugehörigen Gewürze stehen bereit. Der passende Wein ist ausgewählt. Die zeitaufwändigen Vorgänge des Einkaufens, des Waschens und anschließenden Putzens des Gemüses werden einfach übersprungen. So erhält der Zuschauer den falschen Eindruck, das Kochen eines hochwertigen Gerichtes sozusagen nebenbei erledigen zu können – während der Fernseher läuft. Dass seltene Gewürze teuer sind, ebenso das Fleisch vom Metzger, das nicht aus der Tiefkühltruhe kommt, wird einfach verschwiegen. Die Fernsehköche hantieren mit Pfannen und Töpfen in professioneller Umgebung, während sich die Hausfrau in ihrer Küche mit der Spülmaschine abmüht, die befüllt und ausgeräumt werden muss.
All das vermittelt einen faden Beigeschmack vom Kochen und vom tatsächlichen Aufwand, den man treiben muss, um z.B. ein Mehrgänge-Menü hervorzuzaubern, den Tisch kunstvoll zu decken und für ein stivolles Ambiente zu sorgen. So ist es auch kein Wunder, dass viele junge Menschen, die den Beruf des Kochs ergreifen, diese Ausbildung schon nach kurzer Zeit wieder abbrechen. Bewor sie nämlich an Pfanne und Topf dürfen, müssen sie erst einmal Kartoffeln schälen, Gemüse waschen und die Küche putzen – und das nicht nur einmal am Tag. Kochen ist also zunächst einmal solides Handwerk, das von der Pike auf gelernt werden muss, und nicht leichtlebige Kunst, wie es dem staunenden Publikum im Fernsehen präsentiert wird. Wenn Kochen eine Leidenschaft ist oder werden soll, braucht es also Zeit und Geduld. Auch hier ist noch kein Meister vom Himmel gefallen! Wer das nicht will, wird beim Fast Food bleiben. Als Gourmet wird man nicht geboren, denn einen guten Geschmack hat nur der, der Unterscheidungen treffen kann: Das Gute vom Mittemäßigen zu trennen. erfordert Kennenschaft, die reifen mus – wie ein guter Wein, bevor er auf der Zunge zergeht!
„distanzierten sich … von der überladenen, butter‑, mehl- und sauchenreichen Hochküche der Jahrhundertwende.
Lieber Herr Trefzer,
das stimmt zumindest für Bocuse nicht, Bocuse verwendet Mehl und Butter ohne jede Zurückhaltung. vgl. div. Kochbücher von Bocuse und ein Interview online: http://www.zeit.de/2001/25/Wolfram_Siebeck_fragt_PAUL_BOCUSE/komplettansicht?print. Dass die nouvelle cuisine bei Bocuse eine fettarme (oder auch nur eine vergleichsweise fettärmere Küche im Vergleich zu vorigen Jahrzehnten) repräsentieren soll, ist meiner Meinung nach ein hartnäckiges Vorurteil. Ich bestreite nicht, dass es eine nouvelle cuisine gibt, die sich eine fettarme Ernährung auf die Fahne geschrieben hat – aber bei Bocuse ist sie definitiv nicht beheimatet.