August Macke und Franz Marc pflegten bis zum Tod eine innige Freundschaft, die in einem gemeinsam gemalten Bild einen fast utopischen Ausdruck fand: Das Paradies-Fresko in Mackes Haus in Bonn. Das überlebensgroße Bild zeugt einerseits vom seltenen, aber gelungenen Versuch einer künstlerischen Zusammenarbeit. Zum anderen dokumentiert es die Suche nach einem neuen, metaphysischen Kunstanspruch. Gerade Marc ging es darum, das Paradies nicht abzubilden, sondern als Jenseits durch das Bild durchscheinen zu lassen.
Das Paradies in den Köpfen
Eine Doppelseite in einem Skizzenbuch von Macke zeugt von einem ersten Austausch über das Bildmotiv. Die Skizze entstand während eines Besuchs von Macke bei Marc in Sindelsdorf im Oktober 1911. Offenbar sollten Affen das Paradies als erste Wesen bevölkern. Marc aquarellierte oben auf der Doppelseite in Grautönen zwei Affen, die in der Diagonale nach links abwärts springen. Darunter zeichnete Macke eine Affenherde, die ebenfalls nach links strömt. Kurze, kräftige Bleistiftstriche betonen dabei die gleichgerichteten Rücken der Tiere. Die Vorstellung einer „laufenden Affenherde“, so vertraut Macke seinem Künstlerfreund an, habe ihn schon seit Kindsbeinen an begleitet.
Die beiden Künstler lernten sich 1910 bei einer Ausstellung kennen. Marc war knapp dreißig, Macke dreiundzwanzig Jahre alt. Schon bald entwickelten die Männer eine „erotisch-platonische Freundschaftsliebe“ (Clemenz 2015), die Leben und Arbeit durchdrang. Marc interessierte sich für das gemeinsame Experiment und den Austausch von Erfahrungen. Und auf die vielen Geschenke, die er seinem jungen Freund vermachte, antwortete jener mit Hunderten von Skizzen, die er von Marc über die Jahre hinweg anfertigte.
„Aber die Atelierfrage! Das ist das Aller‑, Allerwichtigste“, schrieb August Macke im November 1910 an seine Schwiegermutter in Bonn (in: Freese & Güse 1987). Der nahende Winter hatte dem Malen im Freien ein Ende bereitet. Macke musste den fruchtbaren Aufenthalt am Tegernsee beenden und zu seiner Familie nach Bonn zurückkehren. Dort zog sich der Umbau des Hauses, insbesondere der Ausbau des Dachgeschosses zum Atelier, über zig Monate hin. Am 6. November meinte Macke, seinem Freund mitteilen zu können: „Das Atelier ist in den ersten Wehen“ (in: W. Macke 1964).
„Viel Glück in’s neue Atelier! Behalte eine Kalkwand für mich auf!“
Marc an Macke
Marc, der in Sindelsdorf größere Formate in einem Verschlag im Freien, im Winter in einem ungeheizten Speicher malte, nahm an Mackes Atelier lebhaft Anteil. „Richte Dir doch ein paar Wände in Eurem Hause für Fresko! Dann malen wir’s zusammen,“ schlägt er am 2. Dezember 2011, ein geschlagenes Jahr später, dem Freund vor (ebd.). Dieser grüßt am 9. Februar 1912 als „August in den Kalkwänden“ und meldet: „Das Atelier tritt nächste Woche in Betrieb.“ Marc wünscht am 14. Februar „Viel Glück in’s neue Atelier! Behalte eine Kalkwand für mich auf!“ (ebd.). Im Sommer 1912 kam Marc zu einem ersten Besuch nach Bonn; dann noch einmal vom 26. September bis 20. Oktober. In dieser Zeit erschufen sie das Paradies.
Das Paradies an der Kalkwand
Das Paradies bannten sie auf eine hohe und schmale Wand, die den kleinen Atelierraum Mackes zum Treppenhaus abgrenzt. Bauliche Gegebenheiten bestimmten das Format von etwa vier Metern in der Höhe und zwei Metern in der Breite. Der gemalte Rahmen hebt das Bildfeld hervor: Durch die braunrote Sockelzone unten und den seitlich wie oben umlaufenden grünen Streifen wird die unruhige Wirkung der unregelmäßigen Begrenzung nach oben gemildert. Mit stellenweise stark verdünnter Ölfarbe malten sie Adam und Eva auf den trockenen Verputz. Umgeben von Tieren, genießen die ersten Menschen müßig den Garten Eden – noch bereut der Herr es nicht, dass er den Menschen schuf.
Das Hochformat der Wand legt eine steil ansteigende Landschaft als Bildarchitektur nahe. Adam erscheint in der oberen Bildhälfte, vom Bildrand angeschnitten und den Rücken der Bertrachter*in zugewandt. Er streckt bei Arme nach einem Äffchen über seinem Kopf aus. Dieses turnt auf einem Baum, der am rechten Bildrand ein kompositorisches Gegengewicht zur lebensgroßen Gestalt des Mannes bildet. Zu Adams Füßen, aus der Bildmitte leicht nach links verrückt, sitzt Eva auf einem natürlichen Podest.
Vegetationsformen in Blau und Grün gehen durch das Gelbrot der Eva-Gestalt hindurch; ihr Körper scheint gewichtlos und durchlässig. Zu ihren Füßen äst ein rotes Reh, den Körper geschmeidig biegend. Ein brandroter Fuchs, in seiner Erdhöhle geborgen, hebt neugierig seinen Kopf zum Reh auf. Rechts steht ein massiger Stier, rot leuchtend im strahlend blauen Wasser; er trinkt, den schweren Nacken gebeugt. Dazwischen erscheint rot die Erde, die aufgrund ihrer intensiven Kolorierung eine ähnliche Gewichtung wie die Tiere erhält.
links: Auschnitt aus dem Paradiesbild
rechts: Das Atelier von August Macke mit einer Reproduktion des Paradiesbildes. Das Original wurde 1980 abgetragen und im LWL-Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte, Münster, neu aufgestellt.
Das Paradies der Zusammenarbeit
Das Paradies ist das gemeinsame Werk zweier Künstlerfreunde. Es ist ein Werk, das als Ganzes über die Summe der individuellen Beiträge hinausweist. Die gemeinsame Autorschaft kann aber nur würdigen, wer den Fäden von Marc und Macke nachspürt, die die beiden Künstler in das Bild verwoben haben.
Die Frage nach der individuellen Leistung am Bild ist bislang nur für Franz Marc beantwortet. Dessen Biograf, Klaus Lankheit, schreibt Marc den Adam, den Baum mit den Affen, die Tiere und einen großen Teil der Landschaft zu. In der Familie Macke hingegen schreibt eine mündliche Tradition ihrem Sprössling die orientalische Szene, Eva und wieder: den Adam zu. Die „naiven“ Büschelpflanzen der linken unteren Ecke des Freskos stammen wohl ebenfalls von Macke.
Der Anteil Mackes an der Gesamtomposition darf aber nicht, wie so einige Werkübersichten suggerieren, unterschätzt werden. Immerhin hatte Macke bereits bei seinem Aufenthalt am Tegernsee Vorstudien für eine ähnliche Bildidee zu Papier gebracht. Adam wendet sich darin ebenfalls vom Betrachter ab und greift ebenso in die Äste des Apfelbaumes. Das charakteristische Bildthema eines idealisierten Männeraktes, der in arkadischer Landschaft das vegetabile Dasein der Bäume teilt, bleibt auch in Mackes weiterem Schaffen präsent, wie zahlreiche Skizzenbuchzeichnungen belegen. Ob der junge Künstler neben dem Motiv auch die Ausführung des baumgreifenden Adam zu verantworten hat, ist eine andere Frage.
Dagegen entstammen die Tiere unstrittig dem Motivrepertoire von Marc. Stier und Reh erinnern an seine Arbeiten von 1911. Im kurvigen Aufbiegen des Fuchsrückens und in der geschmeidigen Wendung des Rehkörpers klingt die harmonische Formensprache der Roten Rehe von 1912 an. Auch der Baum mit den kletternden Affen hat Vorgänger in Marcs Affenfries von 1911, auf dem eine Affenherde in der Bilddiagonale abwärts steigt. Im Paradies hingegen herrschen energische Richtungsgegensätze vor, aus denen die Lebhaftigkeit der Tiere spürbar wird. Das Bäumchen selbst, mit seinem geschwungenen Stamm und dem kurvigen Gegenschwung seiner Äste, verhält sich kontrapunktisch zu den Haltungen der turnenden Tiere und ist als Bilderfindung von diesen nicht zu trennen.
Ein Detail des Wandbildes verdient besondere Aufmerksamkeit: die Übermalungen bei Evas Beinen. Über deren Knien lagert ein Tier mit einer grazilen Kopfhaltung – ein ephemeres Wesen, das in seinen zarten Grün- und Blautönen nahezu durchsichtig wirkt. Dahinter befindet sich noch ein zweites seiner Art, von dem aber nur Kopf und Ohren zu sehen sind. Diese zarten Fabeltiere, die weder als Fuchs noch Reh klar identifizierbar sind, tauchen später in Marcs berühmten Skizzenbuch aus dem Felde (1915) wieder auf, einem Konvolut aus 36 kleinformatigen Bleistiftzeichnungen, die er wenige Monate vor seinem und eine Jahr nach Mackes Tod anfertigte.
Franz Marc, Skizze 12 aus: Skizzenbuch aus dem Felde, 1915.
Merkwürdig wirken zudem die orientalisch gekleideten Menschen, die am rechten Bildrand Eva und Adam Gesellschaft leisten. Sie entstammen mit großer Wahrscheinlichkeit Mackes Vorstellungen über den Orient, die dieser wiederum der Lektüre von Nietzsches Orientphantasie in Also sprach Zarathustra verdankte.
– sitze hier, die beste Luft schnüffelnd,
Paradieses-Luft wahrlich,
Lichte leichte Luft, goldgestreifte,
So gute Luft nur je
Vom Monde herabfiel – (Kapitel 88, Unter Töchtern der Wüste).
Das Paradies hinter dem Paradies
Ein überlebensgroßes Wandbild in einem privaten Atelier mutet zunächst paradox an, richten sich doch monumentale Werke zumeist an eine grössere Öffentlichkeit.
Trotz des privaten Rahmens erhebt das Paradiesbild einen Anspruch auf eine ideale Zuschauerschaft. Gerade Franz Marc artikulierte in seinen Schriften Zur Kunsttheorie einen universalen Kunstanspruch, der besonders das Verhältnis des Bildes zur sichtbaren Natur betraf. Bereits 1912 lehnte es Marc als Künstler ab, sich vor die „gütige, immer geduldige Natur“ zu stellen und an ihr herumzubiegen, „bis das Bild den ersehnten modernen Schnitt hat“ (1978: §5). Vielmehr gelte es, das Naturbild zu vernichten, um die dahinter liegenden Gesetze zu zeigen.
Das Paradies wurde für Marc zu einem Bild des eigenen künstlerischen Bestrebens. Dabei ging es ihm nicht so sehr um das historische Paradies von Adam und Eva, vielmehr um das Paradies im Jenseits, das uns am Ende aller Tage bestenfalls erwartet. Mit dem Tod, so Marc, beginne schließlich erst das eigentliche Sein. Just diese Sehnsucht nach dem eigentlichen Sein sei die Grundstimmung aller Kunst: „Ihr großes Ziel ist, […] ein unirdisches Sein zu zeigen, das hinter allem wohnt, den Spiegel des Lebens zu zerbrechen, daß wir in das Sein schauen.“ (1978: §12).
Marcs und Mackes Paradies an der Bornheimer Straße erscheint als Resultat einer nahezu utopischen Liebes- und Schaffensgemeinschaft. Als solches bildet es gleichberechtigt die Sehnsüchte und Phantasmen beider Künstler ab. Darüber hinaus stehen das gemalte Paradies, insbesondere die Traumtiere in Evas Schoss, für jenes unsichtbare „eigentliche Sein“, dem sich die Kunst überhaupt und grundsätzlich anzunähern versuche – paradiesisch absolute Kunst, sozusagen.
Nach zwei Wochen in Bonn kehrte Marc in seine Heimat zurück. An Macke schrieb er darauf: „Die Luft riecht nach Schnee; es ist so still und winterlich geworden, seit Du weg bist.“ (in: W. Macke 1964).
Literatur
Clemenz, Manfred. 2015. „ ‚Eine erotisch platonische Freundschaftsliebe‘. Alexej Jawlensky und Marianne von Werefkin“, IMAGO. Interdisziplinäres Jahrbuch für Psychoanalyse und Ästhetik 3.
Freese, Werner & Güse, Ernst Gerhard (Hg.). 1987. August Macke, Briefe an Elisabeth und die Freunde. München.
Lankheit, Klaus. 1970. Franz Marc: Katalog der Werke, Köln.
Macke, Wolfgang (Hg.). 1964. August Macke – Franz Marc, Briefwechsel, Köln.
Marc, Franz. 1978. „Zur Kunsttheorie“, in: derselbe (Hg.). Schriften. Köln.
Bildnachweis
Das Titelbild wurde uns freundlicherweise von Lumas zur Verfügung gestellt.
Bildtitel: L’Embarquement pour Cythère Nº 11
Jahr: 2014
Künstlerin: Isabelle Menin
Erhältlich bei: www.lumas.com
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Jean Marie Carey
Jean Marie Carey ist promovierte Kunsthistorikerin (Ph. D. an der University of Otago, Neuseeland). Derzeit arbeitet sie an einer neuen Biographie zu Franz Marc. Nebenbei schreibt sie über moderne und zeitgenössische Kunst.
Vielen Dank für diesen ausgezeichneten Beitrag. Vielleicht darf ich an dieser Stelle noch hinzufügen, dass die Freundschaft zwischen August Macke und Franz Marc unerwartet früh im Ersten Weltkrieg endete. Macke fiel schon im zweiten Kriegsmonat im September 1914 und Marc folgte ihm im März 1916 vor Verdun. „Unter tausend Braven trifft eine Kugel einen Unersetzlichen“, schrieb Marc im Nachruf auf seinen verstorbenen Malerfreund. Dies mag auch auf ihn selbst zutreffen.
Mich würde sehr interessieren, was genau diese „erotische platonische Freundschaftsliebe zwischen Marc und Macke meint. Findet sie als Bestandteil der Utopie auch in dem Wandgemälde Ausdruck? Die Erzählung von Adam und Eva ist ja zunächst ein ausgesprochen heteronormatives Konzept.
Franz Marc was a religious man, but he was also had great faith in science. Marc was very interested in the writing of naturalists Charles Darwin and Wilhelm Bölsche, and in his later woodcuts based upon the Book of Genesis – Schöpfungsgeschichte I (1914) and Schöpfungsgeschichte II (1914) you can see that he incorporates the theory of evolution into the creation myth. I think that Marc and Macke similarly modified the story of Adam and Eve so that the couple remains in the Garden with the animals, and are not cast out – they have both the gift of knowledge and Paradise.
What I mean by referring to the relationship as an »erotische platonische Freundschaftsliebe« is not the suggestion of a sexual affair, but rather an elevation of friendship to a primary relationship, a sacramental unity that was of great importance, almost like a marriage.
This quote Macke transcribed in his recollections of making the mural is informative. Macke remembers Marc explaining: » Mensch und Natur sind dargestellt in harmonischer Eintracht. Nicht in der Abwendung vom Realen lag Vergeistigung, Abstraktion, sondern in der dynamischen Durchdringung des Wirklichen. Anima und animal sind, wie Mann und Frau, paradiesisch versöhnt im Bild. …Lebensfreude pur, vitalste Leichtigkeit und beglückendes Sich-Vergessen verbinden sich in den Glanzstücken mit sanft-melancholischer Nostalgie, der sehnsüchtigen Erinnerung an den Garten Eden. Berückend ist das Glück des Paradieses in der Klage um seinen Verlust, im gegenwärtig.« [Peter Dering und Margarethe Jochimsen. August Macke in Tegernsee (Bonn: Verein August-Macke-Haus, 1997), S. 38–39.]
It is interesting that Marc was familiar already with the Jungian idea of anima in this way. Besides this complicated feeling of longing, I take him to be saying that while biology is ordained, our behavior and personalities are determined by culture. And culture can be usurped – this was Marc’s stated intention, after all.