Wir erleben, sagen Experten, eine Katastrophe in Zeitlupe, ein slow-motion disaster. Wir erleben, entgegnen Experten, einen high-speed collapse und blitzkriegartigen Überfall. Naturgemäß haben beide Recht. Von außen gesehen ist die gegenwärtige Pandemie ein rasender Virensturm, von innen der Wartesaal einer sich dehnenden Gegenwart. Der Denkfehler besteht darin, dass nichts und niemand draußen sitzt. Alle sitzen in der viralen Gegenwartsblase und die Zeit ist darin an ihr Ende gekommen. Ich weiß, wie es dazu gekommen ist. Ich habe die Zeit zur Strecke gebracht.
Längstens schon wollte ich die Zeit vertreiben, wie man Fliegen vertreibt. Aus Langeweile, Spaß, Lebensfreude, lebensbejahender Produktivität. Weil sie mir aber im Jahrestakt Katastrophen sandte, beschloss ich voller Ingrimm, sie totzuschlagen. Sie rannte davon. Bewaffnet nur mit Drachenzeiger und Repetitionsschlagwerk konnte ich mit ihr kaum Schritt halten. Sie dehnte sich abwechselnd in die Äonen und verknappte sich in Femtosekunden. Bald blendete mich ihr geldgleicher Anschein, bald nagte ihr Zahn an mir. Sie wuchs zu höchsten Höhen und beschimpfte mich unchristlich, nur um sich plötzlich als Gute und Alte zu geben und ein Kind zu gebären. Endlich war ich ihr voraus und erwischte ihren empfindlichsten Nerv. Ich legte zwei Finger an den Puls der Zeit und spürte, wie bleiern sie darniederlag. Ich schindete sie in grausamer Lust im Schlagwerk, kurz über mich selbst erschreckend. Ich verkürzte sie endlich ohne Hemmung mit Hooke’s Haken um ihren Kopf.
Man braucht keine Pathologin, um zu erkennen, dass die Zeit an Kopflosigkeit leidet. Nachdem die Französische Revolution endgültig mit der Vergangenheit gebrochen und die Freiheit in die offene Zukunft entlassen hat, ist die Moderne mit der Enthauptung der Schlange ausgeblutet. Die Zeit geht nicht mehr, sie steht still, wir bewegen uns in ihr, im ihrem geblähten Kadaver, der Blase der Gegenwart. Langsam und tastend wie Käthchen, scherzend und fressend wie Fallstaff, wild und weinend wie Kassandra, traurig und fiebrig wie Leonce. Vier Blasenhimmelsrichtungen. In den Blasenwänden ticken die letzten Totenuhren, gleitet das Eis herunter, kleben die Fliegen – verstorben die Fauna, verschwunden die Luft, verdampft das Wasser, vertrocknet die Erde. Ich lege den Drachenzeiger aus der Hand und setze mich in diese Stille unter die sanften Flügel der Verblödung. Gerümpel. Ragnarök.
In der Büchnerpreisrede meinte Thomas Bernhard (1970) «über die ganze Geschichte», es sei alles eine Frage «der Monotonie… der Utopie… der Idiotie…». Dieser Dreischritt ist ein deutliches Echo von Franz Grillparzers Dreiklang «Von Humanität durch Nationalität zur Bestialität.» Grillparzer nimmt mit der «Humanität» den Aufbruch der Französischen Revolution in die zukunftsoffene Zeit auf. Diese verwirklicht sich in der Utopie selbstbestimmter Nationalvölker. Was danach kommt, bestimmt die dialektische Aufhebung von Humanität und Nationalität in Bestialität oder, wie bei Bernhard von Monotomie und Utopie in vollkommene Idiotie. Jetzt und heute, in der globalisierten Welt, in der Blase der ausgelaufenen und zur bloßen Gegenwart geronnenen Zeit, wartet alles weltweit gegen das Virus, singt und rechnet solidarisch. Alles, was in dieser Hülle aus Bestialität und Idiotie passiert, ist nachvollziehbar, menschlich, notwendig, alternativlos, ungewollt, zermürbend, zerstörerisch, dyspnoisch, stuporös, kataton und letal.
Übertrieben? Nein. Wir schaffen seit Jahren idiotische Kontaktzonen zwischen illegal gehandelten Wildtieren, die wir mit bestialisch gehaltenen Nutztieren zusammenbringen, weil wir uns die natürlichen Lebensräume brutal und hemmungslos vom Nutellaglas in den Schlund stopfen. Wir verbinden diese bestialischen Kontaktzonen mit stumpfsinnigen Fluglinien und verknoten sie mit den allerstupidesten Orten wie Skiregionen und Fussballstadien. Damit haben wir den Menschen in Wuhan – oder irgendwo sonst auf der Erde – ein gigantisches Russisches Roulette in die Hand gedrückt, eine tickende Zeitbombe mit Brandbeschleuniger. Jetzt fegt sie über den Globus in nie erlebter innerer Langsamkeit. Und unsere Sorgen sind Schutzmaskenobligatorien, Sommerurlaubsgrill und Wattestäbchen. Nein, es ist nicht übertrieben. Bestialität und Idiotie stehen als Epizootidiotie auf dem Höchststand. Auch ich habe die Zeit in der ebenso idiotischen wie bestialischen Hoffnung erschlagen, damit das und das und das und das aufhört.
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Markus Wild
Markus Wild ist Philosoph, lehrt und arbeitet an der Universität Basel. Zu seinen Forschungsschwerpunkten zählen die Tierphilosophie, Philosophie des Geistes sowie Geschichte der Philosophie. Von 2012 bis 2019 war er Mitglied der Eidgenössischen Ethikkommission EKAH. Seit 2016 gehört er zum Nationalen Forschungsrat beim SNF.
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das einsperren von tieren ist eng verbunden mit dem unterdrueckt werden des menschen durch den menschen
ein tier oder eine herde tiere zu halten … nur schon das wort sagt sehr viel … hat oft mit domination zu tun … zurueck halten, ab halten davon wegzulaufen
den wenigsten menschen gelingt es, solch eine innere freundschaft mit einem tier aufzubauen, ein ausgeglichenes nehmen und geben, dass das tier aus freiem willen, ohne gerufen oder gelockt, ohne geistig kontrolliert oder mit leine, zaun oder anderen gefaengniss methoden bei ihnen bleibt
das dominieren ist fuer den menschen zur seelisch geistigen entwicklung hin zum ganzheitlichen edlen wesen nicht foerderlich
nur so als beispiel … jedes mal wenn ich jemandem begegne, der einem hund befehle gibt, ein mensch welcher in vollem befehlston sitz anordnet … ich wuenschte ich waer woanders und muesste diese vibrationen nicht in mich aufnehmen
das dominieren von tieren scheint mir auch gewissermassen die hemmung zu senken beim menschen, die gleichen beherrschungs mechanismen geistiger ueberwachung bzw. mentalkontrolle ueber die herde … auch beim mitmenschen anzuwenden
und dann wirds nicht mehr nur nicht foerderlich, was heisst es geht nicht mehr nicht vorwaerts, sondern rueckwaerts und abwaerts, was heisst in dem moment wo das menschliche einander beherrschen akzeptiert wird … ist ein mensch schon fast kein mensch mehr
oh … aber das ist ja bereits so … die kinder und jugendlichen akzeptieren, dass sie 9 jahre ihres lebens der bildungspflicht unterworfen sind, dass eine kommission welche die bildungsinhalte festlegt, dass eine gruppe von erwachsenen bestimmt, mit was sie ihre zeit verbringen sollen, was sie wie wann in ihrem kopf auswendig lernen
und wenn nun ein erwachsener ein elternteil zum beispiel sich weigern wuerde dem kind dieses verlangte wissen ins hirn einzutrichtern, gibts gefaengniss ( heute gelesen in einer tageszeitung… )
mmmh… da hab ich mir wieder schoen was eingebrockt beim nachdenkenden schlussfolgern .… traurig halb sarkastisch grins halb wein
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„Wir schaffen seit Jahren idiotische Kontaktzonen zwischen illegal gehandelten Wildtieren, die wir mit bestialisch gehaltenen Nutztieren zusammenbringen, weil wir uns die natürlichen Lebensräume brutal und hemmungslos vom Nutellaglas in den Schlund stopfen“ – Wieso „wir“? Ich nicht. Und Sie? Die konkreten Agenten der weltweiten Ausbeutung von Ressourcen sind bekannt, zum Teil namentlich. Das rhetorische „Wir“ verharmlost die Tatsachen und entschärft die politische Kritik, um die es Ihnen ja geht. Mich stört dieses dauernde, seit Beginn der Pandemie in allen Medien präsente „wir“ so sehr, dass ich kürzlich einen Blogeintrag dazu verfasst habe: http://sabinehaupt.ch/blog–lit–co/das–corona–wir–oder–hat–die–wirklichkeit–das–recht–sich–der–literatur–zu–entziehen/
Danke für den Kommentar! – «Als sie ihn nun beharrlich so fragten, richtete er sich auf und sprach zu ihnen: Wer unter euch ohne Wir ist, der werfe das erste «Und Sie?» auf mich.» Wenn wir abstimmen und das Resultat ist «Ja», habe ich als Teil des stimmberechtigten Volkes «Ja» gesagt, auch wenn ich «Nein» gestimmt habe. Wer nicht abstimmt, ist nicht fein raus, sondern lässt alle anderen über sich entscheiden. Allerdings: Wer «Nein» gesagt hat und sich weiterhin mit Einsatz und öffentlich für das «Nein» engagiert, der oder die sagt weiterhin «Nein». Dazu genügt es nicht, privat anderer Meinung zu sein oder privat anders zu handeln. Konsumieren wir Produkte von Tieren (Fleisch, Milch, Käse, Eier), kann nicht ausgeschlossen werden, das dafür Futter verwendet worden ist, das in diesen Kontaktzonen angebaut wurde (Bio hin, Bio her). Zahlen wir Steuern, finanzieren wir mit, was Gemeinde, Kanton, Staat unterstützen. Weil ich nicht nur ich bin, sondern auch Konsument, Universitätsangehöriger, Staatsbürger usw. bin ich in diesen «Wirs» dabei. Fahre ich zum Skilaufen? Nein. Aber ich wohne in einem Dorf, dessen Kinder zum Skiurlaub mit der Schule ins Südtirol fahren und als Kontaktzonen zurückkehren. Konsumiere ich tierische Produkte? Nein. Aber ich zahle Steuern in einem Staat, der diese Produktion subventioniert und Futter aus Kontaktzonen importiert. Benutze ich Flugzeuge? Nein. Aber ich bin Teil einer Universität, bei der Flugreisen zum wissenschaftlichen Alltag gehören und Kontaktzonen verbinden hilft. Es gibt keinen klaren Nebel im Schlafen, keine wahre Leber in Flaschen, kein wahres Leben im falschen.
Vielen herzlichen Dank für Ihre interessante Antwort, die eine ganze Reihe von Fragen der Ethik und praktischen Philosophie berührt, die wir hier jetzt aber nicht ausführlich erörtern können. Sie haben insofern Recht als „wir“ selbstverständlich Teil eines Kollektivs sind, das auch in seiner Gesamtheit Verantwortung trägt und übernimmt, z.B. als politische oder juridische Institution. Als gebürtige Deutsche mit linker Sozialisation habe ich mich auch immer dagegen gewehrt, wenn Nachgeborene kraft der vermeintlichen „Gnade ihrer späten Geburt“ mit dem Schwammdrüber-Schwamm die deutsche Kollektivschuld wegwischen wollten.
Diesen Aspekt sollte man aber gedanklich trennen von der alltäglichen Lebenspraxis, d.h. von der Frage, wie ein einzelner Mensch ganz konkret und persönlich handelt, wobei sich der Handlungsspielraum ja keineswegs auf verantwortliches Konsumverhalten erschöpft. Man kann sich zum Beispiel politisch und in der Zivilgesellschaft engagieren. Ich tue das seit Jahrzehnten, genau wie viele, viele andere Menschen auch. Es gibt unendlich viele Möglichkeiten etwas zu tun, es gibt sogar die Möglichkeit, Widerstand zu leisten.
Doch es geht mir mitnichten darum, hier irgendwelche Verhaltensweisen und Schuldanteile gegeneinander zu verrechnen, das wäre ja lächerlich. Worauf ich mit meiner Kritik an dem zur Zeit wieder mal für alles Mögliche instrumentalisierten „Wir“ hinaus will, ist die mangelnde politische Reflektiertheit dieser Argumentation. Das „Wir“ verharmlost und verschleiert das politische Geschehen und die konkreten Verantwortlichkeiten. Es kollektiviert das Schlechte, während das Gute heroisiert und personalisiert wird. Man kennt das aus der Wirtschaft: wenn alles gut läuft, wird privatisiert, wenn’s brennt, werden Schuld und Schulden kollektiviert.
Zum Thema „Leber in Flaschen“: Was Adorno und Sartre und viele andere meinten, war etwas anderes, nämlich: „wir“ können nicht nicht handeln, alles was wir tun, auch wenn wir nur in den eigenen Sessel pupsen, ist politisch. Und solange draußen die Urwälder brennen, die Eisschollen schmelzen und 20.000 Afrikaner im Mittelmeer ertrinken, ist dieser Sessel hochpolitisches Terrain. Juristisch ist das in etwa vergleichbar mit dem Tatbestand der „unterlassenen Hilfeleistung“. Doch ich bestehe darauf: ich teile weder meinen Sessel noch das Boot, in dem ich durchs Leben tuckere, mit den Vorstandsvorsitzenden großer multinationaler Unternehmen oder mit opportunistischen PolitikerInnen, die faschistoide, unzurechnungsfähige Clowns an die Macht bringen. Dass meine Macht äußerst beschränkt ist, steht auf einem anderen Blatt…
So, und nun hebe ich meinen Stein wieder auf und trage ihn zurück in mein Glashaus. Ihnen ein schönes Pfingstwochenende. Möge der heilige Geist nebst seiner Heiligkeit auch ein paar Funken Vernunft in die Gehirne der Welt pusten!
Herr Wild ist mit seiner Verwendung des „Wir“ in eine „Zone der Ununterscheidbarkeit“ geraten. Unabhängig von seinem Text dient die Verwendung der Wirform manchmal auch als Entlastung des inneren Drucks von dem, was den Einzelnen betrifft und ihn unter Druck setzt. Herr Wild hat schon recht, dass man immer in irgendwelche Kollektivzusammenhänge eingebunden ist, willentlich und unwillentlich. Das Problem dabei besteht aber darin, etwas zugespitzt, dass in einer singularisierten fragmentierten Gesellschaft alle wegen dem gleichen Gegenstand unter Druck kommen und dann nur noch die Möglichkeit des „Wirsagens“ haben als einzige Handlungsmöglichkeit. Damit ist nichts gewonnen oder erreicht, sondern es handelt sich m. E. um einen Zirkel Kollektiv-Individuum, der handlungsunfähig macht und in dem die Individuen nur noch Wir sagen (oder schreien) können. Die einzige Freiheit besteht dann lediglich noch darin, dass über dieses Wir noch in maximal einer binär-dialektischen Form gestritten und geschrien wird, inhaltlich leer, erscheinen die inhaltlichen Möglichkeiten dem Einzelnen offenbar aber als unendlich. Ich habe den Eindruck, als Halbphilosoph und Metamensch gesprochen, das ist die parmenideisch-kybernetische Hölle des 21. Jahrhunderts.
Was die eingangs erwähnte Zone der Ununterschiedenheit/Ununterscheidbarkeit betrifft: bspw. das „journalistische“ Wir. Heutzutage wird man oft direkt, bei vielen Publikationen, im Titel/Lead etc. des Artikels direkt im wir, ihr, du, euch etc. angesprochen, in grossen klassischen wie in kleinen Publikationen (1). Ich kürze hier ab aufgrund der Leidigkeit des Themas: das ist natürlich der Aufmerksamkeitsökonomie geschuldet. Kein Wunder, Deindustrialisierung, Massenverarmung, extrem individualisierte/fragmentierte Gesellschaft, jeder hat Bildschirme und Absaugdevices vor dem Kopf, am Arm, am Bein, im Ohr etc., Abschaffung jeder Formen von sozialen Symmetrien sondern nur noch strengste autoritäre höchstkompetitive unbewegliche Hierarchien, die als das Gegenteil verkauft werden (Kumpelkapitalismus, Sharing-economy, Superreiche, CEOs, Staatspräsis, Eliteprofessoren und Starkünstler, mit denen man locker auf ein Bierchen gehen könnte, könnte man meinen, etc (das du macht die Hierarchien nicht flacher, sagte mir mal jemand)), und Wertschöpfung besteht nur noch darin, psychische Innerlichkeit abzuschöpfen und abzusaugen (durch die Individuen selber, Konzernstrukturen etc), die man gerade vorher eingepflanzt hat („Die kybernetische Gesellschaft“).
(1) https://www.srf.ch/kultur/gesellschaft–religion/mundschutz–mit–stil–zeigt–her–eure–selbstgenaehten–corona–masken
Seit Jahren klopfe ich mir das kluge Köpfchen wund und endlich reagiert mal einer! Du – darf ich „Du“ sagen? Immerhin bist Du mir qua Großaufnahme selbst so auf die Pelle gerückt, dass wir uns gewissermaßen nah stehen. Du hast also die Zeit totgeschlagen. Das kommt mir gerade recht. Denn die Zeit spielt gegen mich. Vielleicht bin ich der letzte Gescheckte Nagekäfer, den es gibt. Es ist zum Aussterben. Da ist man von Natur aus schon so gut wie blind und spielt von Stunde Null an Topfschlagen miteinander und dann werden auch noch die Weibchen rar. Will ja nicht jammern, aber so als alter, blinder Käfer, dem noch das letzte Stück Heimat geraubt wurde, hat man’s schon nicht einfach.
Es gab eine Zeit, es war nicht Deine, nicht meine, es war eine andere Zeit, die meinte es gut mit meiner Art. Da gab es noch viel Holz vor der Hütte und verbotene Nischen im Eichentisch zu erkunden. Da hab‘ ich das scheuste Trippeln zaghafter Käferinnen mit pastellig gescheckten Rücken gehört und sie alle per Klopfzeichen gefunden. Doch dann kam die schlimme Zeit der Pestizide, wo einer nach dem anderen von uns gefallen ist. Wenn ich nur daran denke, kribbelt es mich überall. Und nun ist Totenstille. Keine Pestizide mehr, keine Weibchen mehr. Nur noch ich. Und es geht dem Ende zu, ich spür’s in den Beinchen. Bei mir heißt es Sein o d e r Zeit.
Welch traurige Ironie, man nennt uns Totenuhrkäfer und nun bin ich meine eigene Totenglocke. Nur eins will ich klarstellen: Nur weil erst der Tod den Menschen lehrt, zu schweigen und hinzuhören, denkt er, ich komme, um die Sterbenden zu holen. Was zum Teufel interessieren mich die Menschen? Ich klopfe so oder so, ob die mich hören oder nicht. Ich hab‘ genug eigene Probleme, da kann ich mich nicht auch noch um irgendwelche Sterbenden scheren.
Schenkst Du mir also die tote Zeit, die da so schmackhaft in der Ecke liegt? Sie würde mich gut nähren, diese morschfaule Zeit. Womöglich ist sie schwer verdaulich, eure Zeit, doch sicher nicht so viel mehr als die unsere. Dass ihr immer gleich von Eigenzeiten sprechen müsst! Sie würde mir einen Puffer geben, diese Auszeit. Vielleicht reicht’s, um doch noch ein Weibchen zu finden, bevor die neue Zeit sich ohne mich weiterdreht.