Danach gab es davor und danach. Es gab drin­nen und draus­sen. Es gab Mann und Frau. Es gab arm und reich. Danach fürch­te­te ich mich, wenn ich durch das Trep­pen­haus des Hau­ses lief, in des­sen obers­tem Stock unse­re Woh­nung war, und dreh­te mich um.“ (Anfang, S. 6)


Ich woll­te nicht aus­se­hen wie der Mann, der ich sein woll­te. Aber die Mög­lich­keit auf­zu­ste­hen, mich nicht zustän­dig zu füh­len und wei­ter­zu­ge­hen, die­se Mög­lich­keit woll­te ich besit­zen, für immer.“ (S. 7)


Der Stell-dich-nicht-so-an-Impe­ra­­tiv ist eine häu­fi­ge (und der Funk­ti­on nach sys­tem­er­hal­ten­de) Reak­ti­on auf Frau­en bezie­hungs­wei­se Müt­ter mit Pro­ble­men.“ (S. 21)


Auch ich trat mir so gegen­über, auch ich woll­te ganz ein­fach kein Pro­blem sein. Ich woll­te mei­ne Pflicht tun (heisst: sexu­ell befreit sein, ein gepfleg­tes Äus­se­res und eine hete­ro­se­xu­el­le Part­ner­schaft haben, eine gute Kon­su­men­tin und Mut­ter sein), ich woll­te all die­sen Pflich­ten nach­kom­men, sie nicht als sol­che emp­fin­den und glück­lich sein. Ich woll­te mich frei­wil­lig dafür ent­schei­den, was von mir erwar­tet wur­de.“ (S. 21)


Neu war: die Sor­ge. Sor­ge als Grund­zu­stand. Sor­ge, bevor man weiss, dass man sich Sor­gen macht. Die tota­le Sor­ge. Neu war aus­ser­dem: wund sein. Nach der Geburt war mein Kör­per wund. Alles wund und offen und heiss. Die Wun­de zwi­schen mei­nen Bei­nen, die Brüs­te. Die Gefüh­le in mei­ner Brust, die Ner­ven, die Hirn­haut, die Gedan­ken hin­ter mei­ner Stirn, die Augen, alles war wund und offen und heiss. Ab sofort war die Mög­lich­keit, etwas zu wol­len und es dann zu tun, voll­kom­men aus­ge­schlos­sen. Allein­sein aus­ge­schlos­sen, auf­ste­hen und gehen voll­kom­men aus­ge­schlos­sen.“ (S. 76)

Die tota­le Sorge.


Denn vor mir lag dann ein lan­ger, unbe­schrie­be­ner Tag, in dem stän­dig irgend­et­was pas­sie­ren wür­de, ohne dass ich bestim­men konn­te, wann etwas pas­sier­te und was pas­sier­te. Ohne dass ich am Ende des Tages wür­de sagen kön­nen, was pas­siert war, denn es war nichts pas­siert, und das stimm­te auch nicht, denn es muss­te eine Men­ge pas­sie­ren, damit es wei­ter­ging. Damit ein Zustand, ein guter Zustand gehal­ten wur­de.“ (S. 101f.)


Sau­er im eigent­li­chen Sinn, sau­res Zeug im Herz, im Bauch, im Kopf. Ich war sau­er auf ihn und wur­de es immer mehr, weil mein wert­vol­les Gehirn von all den Din­gen, an die ich den­ken muss­te, okku­piert war und er sein eben­falls wert­vol­les Gehirn damit nicht belas­te­te.“ (S. 118)


Dass sie das gemein­sa­me Leben auf­räum­ten, orga­ni­sier­ten und zusam­men­hiel­ten und dass ihre Män­ner nicht ver­stün­den, was sie damit mein­ten. Dass sie viel zu ent­kräf­tet sei­en, um ihren Män­nern begreif­lich zu machen, wor­um es ging. Dass ihre Män­ner sich nicht zustän­dig fühl­ten, weil sie wüss­ten, dass sie sich auf ihre Frau­en ver­las­sen konn­ten.“ (S. 120)


Wür­den die Töch­ter die­ser Gesell­schaft nicht hel­fen, aus­glei­chen und Sachen weg­räu­men, wür­den sie falsch gefun­den wer­den. Wür­den sie all das nicht tun, wür­de die­se Gesell­schaft ganz ein­fach zusam­men­bre­chen, was jedoch aller Wahr­schein­lich­keit nach nicht pas­sie­ren wird, weil die hel­fen­den Töch­ter ihre Fami­li­en nicht im Stich las­sen wollen.

Ein wei­te­rer Aspekt, den ich, die alte Zeit betref­fend, bereits beschrie­ben, aber noch nicht fer­tig behan­delt habe, ist: Lie­be. Lie­be als Grund dafür, dass es war, wie es war, und so blieb. Lie­be und Har­mo­nie als Wäh­rung, in der Frau­en und Mäd­chen seit jeher bezahlt wer­den und die auch ich ver­die­nen woll­te.“ (S. 127)

Lie­be als Grund dafür, dass es war, wie es war, und so blieb.


Es war anstren­gend so zu sein. Es war anstren­gend, mit einem Sen­sor durch die Woh­nung zu lau­fen, der nach mög­li­chen Bedürf­nis­sen des Babys und mei­nes Freun­des fahn­de­te, um die­se erfül­len zu kön­nen, bevor sie ein Pro­blem und die Har­mo­nie gestört wer­den könn­te. Es war anstren­gend, eine Tür im Brust­korb zu haben, durch die die bei­den bei mir ein- und aus­gin­gen. Es gab da drin­nen kei­nen Platz mehr, und ich war erschöpft und unzu­frie­den, und dann stör­te ich die Har­mo­nie ent­we­der sel­ber und unge­wollt, weil ich platz­te.“ (S. 130)


Die letz­ten Sei­ten lesen sich, als sei alles nur ent­setz­lich gewe­sen. Das war es nicht. Das Baby war nicht ent­setz­lich. Ich lieb­te es, wie ich zuvor noch nie jeman­den geliebt hat­te. Aber das Leben, das ich damals führ­te, lieb­te ich über­haupt nicht.“ (S. 133)


Die Din­ge sind das Pro­blem, dach­te ich dann, der Kör­per, der sich an den Din­gen ver­letzt, und zuletzt der Kopf, der mit den Din­gen nicht klar­kommt. Der Kör­per und der Kopf sind das Pro­blem, weil sie die Din­ge nicht mehr gewöhnt sind, weil der Kopf sie von sich fern­ge­hal­ten hat. Weil es ange­neh­mer für den Kopf ist, weil der Kopf sich nicht mit Klei­nig­kei­ten beschäf­ti­gen will, weil sich der Kopf der Illu­si­on hin­ge­ben will, man kön­ne nur Kopf sein und müs­se nie wie­der kochen. Aber das geht nur so lan­ge, wie man ein Ein­zel­mensch ist, der in der Ich-Zeit wohnt. Hat man einen Men­schen, für den man sor­gen muss, prallt man auf die ecki­ge Welt der Din­ge (und wenn man kein Geld hat, ist die Welt der Din­ge noch viel här­ter, weil man nie­man­den dafür bezah­len kann, Din­gen für einen zu erle­di­gen, bezie­hungs­wei­se nicht in der Lage ist, teu­re Din­ge anzu­schaf­fen, die es einem leich­ter machen). Man hat einen klei­nen Men­schen und ist sofort auf Din­ge ange­wie­sen.“ (S. 155)

Man hat einen klei­nen Men­schen und ist sofort auf Din­ge angewiesen.


Aber man bewer­tet ja nicht, weil man denkt, das sei not­wen­dig oder rich­tig. Man tut es, weil man Angst hat, falsch zu sein. Man tut es, weil man unsi­cher ist und sich, indem man ande­re abwer­tet, dar­über ver­si­chern kann, dass man rich­tig ist. Ich weiss nicht genau, woher die­se fun­da­men­ta­le Unsi­cher­heit kommt.“ (S. 188)


Das Span­nungs­feld, in dem das Glücks­the­ma ver­han­delt wird, wirft die genann­ten Fra­gen auf (Geschlech­ter­ge­rech­tig­keit, Arbeit, Woh­nen, Erzie­hung), und die Figur der Mut­ter funk­tio­niert dabei als eine Art Mess­ge­rät für gesell­schaft­li­che Zustän­de.“ (S. 194)


Hat man Kin­der, nimmt man mehr und sicht­ba­rer an der Gesell­schaft teil als vor­her. Man ist auf sie ange­wie­sen. Man mischt sich in bestimm­te Fra­gen ein, weil sie das Leben des eige­nen Kin­des betref­fen wer­den, das unter ande­rem als Zukunft und Ren­te die­ses Lan­des gedacht ist.“(S. 195)

Hat man Kin­der, nimmt man mehr und sicht­ba­rer an der Gesell­schaft teil als vorher.


Denn im Kern bedeu­tet die­ser Gedan­ke: Müt­ter ner­ven, weil sie schon als wir klein waren dau­ernd geme­ckert und rum­ge­stresst haben, was unse­re Väter im Übri­gen genau­so sahen, die sie dann als hys­te­risch und anstren­gend bezeich­ne­ten und somit das Ste­reo­typ der ner­vi­gen, auf­ge­reg­ten Mut­ter hal­fen fort­zu­schrei­ben.“ (S. 197)


Auch ich begeg­ne­te den Annah­men, aus denen die Wirk­lich­keit, die ich bewohn­te, gebaut ist, erst in ihrer gan­zen Här­te, als ich ein Kind hat­te. Vor­her wuss­te ich, dass es sie gab, aber sie hat­ten kei­ne Kon­se­quen­zen für mich gehabt.“ (S. 202)


Nein, das Pro­blem ist nicht das Kind. Das Pro­blem liegt in dem Ver­such, das Kind zusam­men­zu­brin­gen mit den Ideen, Erfor­der­nis­sen uns Sach­zwän­gen eines moder­nen Erwach­se­nen­le­bens, wie es sich die Erwach­se­nen gemacht haben.

Nein, das Pro­blem ist nicht das Kind. Das Pro­blem liegt in dem Ver­such, das Kind zusam­men­zu­brin­gen mit den Ideen, Erfor­der­nis­sen uns Sach­zwän­gen eines moder­nen Erwach­se­nen­le­bens, wie es sich die Erwach­se­nen gemacht haben. Die­ses Erwach­se­nen­le­ben kommt von sehr weit her. Geht es um Arbeit – und Arbeit ist dum­mer­wei­se das zen­tra­le Ele­ment eines moder­nen Erwach­se­nen­le­bens, um das her­um sich der Rest orga­ni­siert—, wur­de die­ses Leben von Män­nern für Män­ner gemacht. Und die­ses Män­ner­le­ben passt nicht mit Frau­en zusam­men, die arbei­ten wol­len, sol­len und müs­sen – und bis auf Wei­te­res die sind, die Kin­der bekom­men.“ (S. 219f., Schluss)

 

Anto­nia Baum. 2019. Still­le­ben.
Piper.