Selbst im gut ausgebauten ÖV-Netz einer Stadt gibt es Wartezeiten, besonders abends. Wir überfliegen die Gratiszeitung, überprüfen mit dem smart phone unsere digitale Existenz oder blicken kurz auf die Plakatwerbung, die in Sekundenbruchteilen bereits verdaut ist.
Warten lässt sich aber auch anders! Etwa mit der Lektüre einer Wandzeitung, die in fünf Minuten Lesezeit Erkenntnisse aus den Geistes- und Sozialwissenschaften vermittelt und zum Denken oder Vandalieren anregt.
Ende Dezember 2015 war es in Basel soweit! An 21 Plakatflächen in Wartezonen des öffentlichen Verkehrs hingen 5 verschiedene Wandzeitungen mit Texten der Cyborg-Ausgabe.
Nicht warten. Lesen!
Rückschau
Die Idee für eine Wandzeitung entstand an einer abgelegenen Haltestelle. 12 Minuten Wartezeit, tiefer Blutzuckerspiegel und es nieselt. Das ausgehängte Plakat preist sich selbst als Werbefläche an. Muss ein Plakat denn immer Werbung sein? Der Wunsch nach intelligenter Ablenkung keimt und die Idee von einer gigantischen Inhaltsfläche reift.
Kurz darauf kündigt die Allgemeine Plakatgesellschaft (APG) eine Weihnachtsaktion an: Für die beiden letzten Wochen des Jahres können in Basel F‑12 Plakatflächen für 200 Franken gemietet werden. F‑12 ist riesig! Auf der Fläche fänden 2’200 Reclam-Bändchen bequem Platz.

Nun geht alles schnell: In der Hoffnung auf Unterstützung durch die Christoph Merian Stiftung (CMS) beginnen wir mit der Gestaltung von fünf Wandzeitungen. Wir tapezieren die Wohnung mit unterschiedlichen Schriften, Schriftgrössen, kürzen und brechen Texte auf 500 Wörter herunter.
Am 4. Dezember entschliesst der Stiftungsrat der CMS, die Wandzeitung zu unterstützen. Damit wird die erste Ausgabe der Avenue auf Papier für Leserinnen und Leser in Basel Wirklichkeit. Es folgen ein paar Nachtschichten. Im letzten Augenblick hilft uns die Agentur cR Basel, das Layout auch an die drei Papierbahnen anzupassen, in denen Plakate gedruckt und geklebt werden.
Ergebnis

der TagesWoche
Die Wandzeitung hängt am 21. Dezember an 21 Haltestellen des öffentlichen Verkehrs. Bis Mitte Januar treffen wir noch lesende Wartegenossen. Die lokale Tageszeitung widmet der Aktion einen längeren Beitrag, das Medienbranchenportal persönlich.com greift die Kampagne ebenfalls auf und via Facebook erhalten wir teils begeisterte Kommentare.
„Warum gibt’s das nicht in Berlin?“
Facebook-Kommentar
Wir werten die Wandzeitungs-Aktion als geglückten Versuch, zwei Anliegen miteinander zu verbinden: einerseits das Warten mit mehr als nur just buy it-Plakaten zu bereichern, andererseits neue und ungewohnte Inhalte einem breiteren Publikum anzuvertrauen.
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Herausgeber*innen
Anmerkung: Die Herausgeber*innen der Avenue lancierten zu Weihnachten 2020 die Initiative Salz + Kunst als Antwort auf die Einschränkung des künstlerischen Lebens während der Corona-Pandemie. Im Sinne von art on demand vermittelt die Plattform Kunststücke nahezu aller Kunstsparten in den privaten Raum: ein Jodel im Vorgarten, ein philosophisches Gespräch per Zoom, ein Gedicht per Whatsapp, ein Violinkonzert auf dem Balkon …