Was haben die Net­flix Sen­dung Chef’s Table, der Spiel­film The Hundred-Foot Jour­ney, der ani­mier­te Trick­film Rata­touille und das auto­bio­gra­phi­sche Jour­nal A Work in Pro­gress von René Red­ze­pi gemein­sam? Sie alle erzäh­len ein heil­sa­mes Nar­ra­tiv von ganz­heit­li­cher, tief in loka­len Tra­di­tio­nen ver­wur­zel­ter und zugleich inno­va­ti­ver Ernäh­rung. Sie ver­schrei­ben sich alle­samt dem Prin­zip think glo­bal, act local und set­zen medi­al alles in Bewe­gung, die Ent­frem­dung der Men­schen von ihren Lebens­mit­teln zu kurieren.

Uni­for­mi­tät ohne Homogenität

Die kuli­na­ri­schen Krea­tio­nen von Ana Roš, Magnus Nils­son, Vir­gi­lio Mar­tí­nez (alle drei zu sehen bei Chef’s Table), Hassan Kadam (The Hundred-Foot Jour­ney), Rémy (Rata­touille) und René Red­ze­pi fol­gen klar der Ent­wick­lungs­li­nie, die der His­to­ri­ker Chris­to­pher Bay­ly in sei­ner Geburt der moder­nen Welt (2006) als Prin­zip der Glo­ba­li­sie­rung beschrieb: Uni­for­mi­tät ohne Homo­ge­ni­tät. Dass sich die Ent­wick­lung kuli­na­ri­scher Prak­ti­ken Bay­lys Modell fügen, bestä­tigt der Sozio­lo­ge Antho­ny Gid­dens in Moder­ni­ty and Self-Iden­ti­ty: „A para­dox seems to emer­ge from this deba­te: it appears to con­clude that diets beco­me dif­fe­rent at the same time that they beco­me more simi­lar“ (1991: 5).

Der aus Indi­en ein­ge­wan­der­te Hassam Kadam (Manish Day­al) kocht aus­ge­rech­net in jenem Städt­chen sei­ne deli­ka­ten Cur­ries, in dem Madame Mal­lo­ry (Helen Mir­ren) kuli­na­risch das Sagen hat.  Film­stills aus: The Hundred-Foot Jour­ney (Hall­ström 2014).

Was die oben genann­ten Chefs her­vor­brin­gen, sind durch­wegs redu­zier­te Por­tio­nen auf schlich­tem, leicht rus­ti­ka­lem Geschirr. Gehalt­vol­le, far­ben­fro­he Hap­pen, lau­ter apar­te ess­ba­re Minia­tur­land­schaf­ten. Die Prä­pa­ra­ti­on ist Aus­druck regio­na­ler Tra­di­ti­on und Nach­hal­tig­keit, die Prä­sen­ta­ti­on wie­der­um betont Moder­ni­tät und Inno­va­ti­vi­tät. Trotz die­ser schlich­ten For­mel ist es fast unmög­lich, die Gerich­te mit­ein­an­der zu verwechseln.

In der Ein­zig­ar­tig­keit der Krea­tio­nen liegt auch die Erklä­rung ihres Zau­bers: Wer Nils­son kochen sieht, erfährt, wie und wo der Brauch, Eier zur Lage­rung in Asche zu wäl­zen, in Skan­di­na­vi­en ver­wur­zelt ist. Red­ze­pi und Mar­tí­nez demons­trie­ren ihre sys­te­ma­ti­sche Wis­sens­er­schlie­ßung rund um Zube­rei­tung und Kon­ser­vie­rung von Lebens­mit­teln mit Hil­fe von loka­len Exper­ten und gewis­sen­haf­ter Doku­men­ta­ti­on und for­men ihre Menüs ent­lang von Anek­do­ten. Rémy und Hassan brin­gen ihre other­ness, ihre sozia­le Anders­ar­tig­keit und ihre unor­tho­do­xe Arbeits­wei­se mit in die Küche, und neh­men so auch bereits bekann­ten Gerich­ten ihre Belie­big­keit und Austauschbarkeit.

Magnus Nils­son, por­trä­tiert in Chef’s Table, kocht in Fävi­ken, in the midd­le of nowhe­re. Sei­ne erd- und natur­ver­bun­de­nen Krea­tio­nen haben das media­le Ant­litz der nor­di­schen Küche renoviert.

Die bewuss­te und demons­tra­ti­ve Ein­bet­tung der Gerich­te und Zuta­ten in ihre Pro­duk­ti­ons- und Prä­pa­ra­ti­ons­zu­sam­men­hän­ge ver­leiht den Ess-Waren eine Nach­voll­zieh­bar­keit. Sie erlaubt es, Essen und Kochen als Kul­tur­pra­xis zu ver­ste­hen und betont damit gesell­schaft­li­che Kon­ti­nui­tä­ten, anstatt den Kon­sum und damit die Ver­gäng­lich­keit des ein­zel­nen Bis­sens ins Zen­trum zu rücken. Die­se Bücher, Fil­me und Doku­men­ta­tio­nen die­nen als ein Gegen­gift zu dem Unbe­ha­gen, das die Ent­frem­dung zwi­schen Mensch und Nah­rungs­mit­tel gebracht hat.

Die Ent­frem­dung von Mensch und Nahrungsmitteln

Wir haben zwar Zugang zu allen mög­li­chen Pro­duk­ten und Deli­ka­tes­sen, von denen unse­re Groß­el­tern kaum je hät­ten träu­men kön­nen, aber lang­fris­ti­ge Bedeu­tung jen­seits tem­po­rä­rer Sin­nes­freu­den erhal­ten die Ess-Waren erst, wenn wir dazu gebracht wer­den, uns haut­nah mit ihrer Ent­ste­hung und Her­stel­lung auseinanderzusetzen.

Die Los­lö­sung der Ess-Waren aus ihren Pro­duk­ti­ons­zu­sam­men­hän­gen ist in wenigs­tens fünf Dimen­sio­nen feststellbar.

  • Zunächst auf der zeit­li­chen Ebe­ne, in der die Bezie­hung zwi­schen Ver­füg­bar­keit und Sai­so­na­li­tät fast gänz­lich auf­ge­ho­ben ist. Pro­duk­te sind bei­na­he unab­hän­gig von ihrem jähr­li­chen Rei­fe­zy­klus erhält­lich, auch wenn die Erd­bee­ren, die im Win­ter zum Ver­kauf ste­hen, qua­li­ta­tiv noch weit unter dem sai­son­ge­rech­ten Ange­bot liegen.
  • Die zwei­te Ent­kopp­lung betrifft die Dimen­si­on des Ortes. Waren aus aller Welt sind im kleins­ten Lebens­mit­tel­ge­schäft eines abge­le­ge­nen euro­päi­schen Dor­fes verfügbar.
  • Drit­tens ist das Ver­hält­nis von Preis und Leis­tung ver­zerrt. Vor­geb­lich hoch­wer­ti­ge Pro­duk­te, wie etwa Sushi, sind in einer der­art brei­ten Preis­span­ne ver­füg­bar, dass der Wert der ein­zel­nen Zuta­ten für den Kon­su­men­ten nicht mehr trans­pa­rent und nach­voll­zieh­bar ist.
  • Die vier­te Dimen­si­on der Ent­frem­dung betrifft die der eigent­li­chen Pro­duk­ti­on. Die Arbeit in Schlacht­hö­fen bei­spiels­wei­se ist uns viel­leicht sym­bol­bild­lich aus Repor­ta­gen bekannt, aber unse­rem tat­säch­li­chen All­tag fern, da der Tod und sei­ne Begleit­erschei­nun­gen aus der Mit­te der Gesell­schaft an den Rand ver­drängt wur­den. Wir haben also nur sel­ten Ein­blick in die Her­stel­lung der Lebensmittel.
  • Und zu guter Letzt ist nicht allein die Pro­duk­ti­on, son­dern auch fünf­tens die Prä­pa­ra­ti­on der Lebens­mit­tel inso­fern betrof­fen, als dass mit der Zunah­me von con­ve­ni­ence food die Inter­ak­ti­on mit den Waren in Form von Rüs­ten, Kochen, Anrich­ten immer mehr ver­kürzt und redu­ziert wird.

Weder kon­ser­va­tiv noch revolutionär

Um die­se zahl­rei­chen Leer­stel­len zu fül­len, set­zen die Insze­nie­run­gen auf die Ein­bet­tung in neue Bedeu­tungs­zu­sam­men­hän­ge. Ver­pa­ckun­gen, Labels, Prä­sen­ta­ti­on und Wer­bung fügen die Pro­duk­te in Erzäh­lun­gen ein, um sie wie­der mit Bedeu­tung auf­zu­la­den. Was die­se rea­len oder fik­ti­ven Chefs letzt­lich leis­ten, ist, dass sie die ent­frem­de­ten Ess-Waren wie­der begreif­bar machen. Sie lie­fern Kon­text, sie erzäh­len, sie machen sich selbst zum Teil der Story.

Nach ihrem Por­trät in Chef’s Table wur­de Ana Roš 2017 zur „World’s Best Fema­le Chef“ gekürt (© Suzan Gabrijan).

Ana Roš nennt es ihren „zero kilo­me­ter approach“, wenn sie ihre Pil­ze, Fische und Milch­pro­duk­te in unmit­tel­ba­rer Nähe zu ihrem Restau­rant direkt an ihren jewei­li­gen Ent­ste­hungs­or­ten bezieht. Magnus Nils­son stapft mit gefüll­tem Fut­ter­ei­mer über eine nebe­li­ge Wie­se, ver­sorgt Kühe und hält dabei ein Plä­doy­er gegen Mas­sen­tier­hal­tung und ein­sei­ti­ge Füt­te­rung der Tie­re. Vir­gi­lio Mar­tí­nez lernt Garungs­me­tho­den von indi­ge­nen Exper­ten, doku­men­tiert sein neu erwor­be­nes Wis­sen und gibt es in auf­po­lier­ter – man möch­te fast sagen gen­tri­fi­zier­ter – Form in sei­ner Küche wei­ter. Auf sei­nen Tel­lern ent­ste­hen Sze­nen, Land­schaf­ten, Geschichten.

Nichts davon ist also von Grund auf neu oder revo­lu­tio­när und den­noch wirkt es nie kon­ser­va­tiv oder rück­wärts­ge­rich­tet, son­dern stets am Puls der Zeit und bestechend raf­fi­niert. Dies gelingt vor allem durch die ästhe­ti­sche Auf­be­rei­tung und wird in einem nicht zu unter­schät­zen­den Maß auch durch die (rela­ti­ve und teils stark insze­nier­te) Jugend­lich­keit der Chefs transportiert.

René Red­ze­pi, Ver­fas­ser des kuli­na­ri­schen Tage­buchs A Work in Pro­gress, ist Inha­ber und Chef des Noma. Es wur­de 2010, 2011, 2012 und 2014 zum bes­ten Restau­rant der Welt gekürt. 

Nichts an die­sem Nar­ra­tiv ist wirk­lich anti-Estab­lish­ment. Allein die Prei­se und die Exklu­si­vi­tät, das nie enden wol­len­de Stre­ben nach einer Mess­bar­keit des Erfolgs in Gault-Mil­lau-Punk­ten oder Miche­lin-Ster­nen zei­gen dies glas­klar. Und doch gelingt es den Protagonist*innen, sich selbst als arri­vier­te Außen­sei­ter, als inno­va­ti­ve und schluss­end­lich sieg­rei­che Under­dogs dar­zu­stel­len, indem sie ihre Küche von der ver­meint­lich see­len­lo­sen Fließ­band­pro­duk­ti­on ande­rer Ster­ne­kü­chen abgrenzen.

Das Ide­al, das hier trans­por­tiert wird, mutet nicht beson­ders modern oder revo­lu­tio­när an, eher kon­ser­va­tiv und fast ein wenig bieder.

Das Leit­mo­tiv der Ver­ein­bar­keit von Beruf und Fami­lie schlägt in die­sel­be Ker­be. Roš, Mar­tí­nez und Hassan betrei­ben ihre Restau­rants gemein­sam mit ihren jewei­li­gen Part­nern und beto­nen die Wich­tig­keit die­ser Part­ner­schaft für den Schaf­fens­pro­zess. Für Hassan, der am Beginn der Hundred-Foot Jour­ney im fami­liä­ren Restau­rant­be­trieb ein­ge­bun­den ist, schließt sich damit ein erzäh­le­ri­scher Bogen. Mar­tí­nez hat zudem die Schwes­ter an sei­ner Sei­te, die für die wis­sen­schaft­li­che Erfor­schung neu­er Zuta­ten und Zube­rei­tungs­mög­lich­kei­ten zustän­dig ist. Auch René Red­ze­pis Ehe ent­springt der gemein­sa­men Arbeit in der Küche. Red­ze­pi schil­dert ein­dring­lich die Schwie­rig­keit, Fami­lie und Beruf unter einen Hut zu brin­gen und betont dabei stets, wie sehr er auf die Unter­stüt­zung sei­ner Frau ange­wie­sen ist. Nils­sons Ehe­frau Tove ist eben­falls kuli­na­risch ver­siert und die Fol­ge rund um Nils­son zeigt das idyl­li­sche skan­di­na­vi­sche Fami­li­en­haus und den Chef selbst bei der Team­sit­zung, ent­spannt und hei­ter mit Kind auf dem Schoss. Bei Rata­touille wird das Bis­tro schluss­end­lich vom Drei­er­ge­spann Remy, Colet­te und Lin­gui­ni geführt, und die Ver­söh­nung Rémys mit sei­ner Fami­lie und sei­ne Reinte­gra­ti­on in die Rat­ten­ge­mein­schaft spie­len eine tra­gen­de Rolle.

Lin­gui­ni ver­mag nur dank Rémy, der Rat­te, zu kochen. Film­stills aus Rata­touille (Bird und Pin­ka­va 2007).

Das Ide­al, das hier trans­por­tiert wird, mutet nicht beson­ders modern oder revo­lu­tio­när an, eher kon­ser­va­tiv und fast ein wenig bie­der. Doch auch hier gelingt es der Erzäh­lung, sich die­sen Umstand zunut­ze zu machen, indem das pri­va­te Glück als mit dem beruf­li­chen Erfolg ver­ein­bar gezeigt und zum Teil eines ganz­heit­li­chen Anspruchs an Zufrie­den­heit und Lebens­freu­de gemacht wird.

Wes­sen Genuss?

Wie bereits erwähnt, steht nicht der Ver­zehr der Spei­sen im Zen­trum, son­dern ihre Her­stel­lung, der Umgang mit den Zuta­ten, die Insze­nie­rung der Zube­rei­tung, der sinn­li­che Gesamt­ein­druck der Spei­se. Chef’s Table wid­met nur einen Bruch­teil der ein­zel­nen Epi­so­den Auf­nah­men aus dem Spei­se­saal. Wenn jemand beim Essen gezeigt wird, dann sind es die Chefs. Man sieht sie beim Sam­meln ihrer Roh­stof­fe, auf dem Markt, bei der Käse­ver­kos­tung, beim Abschme­cken, sel­te­ner auch bei der Beur­tei­lung ihres End­pro­duk­tes oder beim Essen im Krei­se der Fami­lie. Auch im Spiel­film läuft es nicht anders: Der Kon­sum der Gäs­te wird ange­deu­tet und mar­gi­na­li­siert, allein der alles ent­schei­den­de Biss des Kri­ti­kers erhält neben den fami­liä­ren Mahl­zei­ten die vol­le Aufmerksamkeit.

Ähn­lich ver­hält es sich bei Red­ze­pi. In sei­nen Beschrei­bun­gen spie­len Geschmack, Geruch und Ver­zehr zwar eine tra­gen­de Rol­le, doch befas­sen sie aus­schließ­lich mit Red­ze­pis eige­ner Per­spek­ti­ve und behan­deln nur all­zu häu­fig sei­ten­lan­ge Fehl­ver­su­che, geschei­ter­te kuli­na­ri­sche Expe­ri­men­te, gefolgt von Sin­nes- und Schaf­fens­kri­sen. Geneig­te Leser*innen mer­ken bald: Wor­an Sie Anteil erahl­ten, ist nicht der Genuss, son­dern die Krea­ti­vi­tät. Es geht nicht um den Ver­zehr, den Kon­sum. Viel­mehr wird danach gestrebt, Teil des Schaf­fens­pro­zes­ses zu wer­den. Was die­se Geschich­ten ver­eint, ist der Fokus auf das Hand­werk, nicht auf das Resul­tat. Alle Köchin­nen und Köche sehen eine tie­fe­re Bedeu­tung in ihrem Schaf­fen, sie sind erfüllt von ihrer Arbeit. Ein erstre­bens­wer­tes Vor­bild in Zei­ten der Pre­ka­ri­sie­rung und schwin­den­den Jobsicherheit.

An wen rich­tet sich also die­ses spe­zi­fi­sche Nar­ra­tiv? Es lässt sich wohl die­sel­be Ziel­grup­pe ver­mu­ten, die auch den media­len Trends von Cabin Porn und dem Tiny House Move­ment ver­fal­len sind. Dort ste­hen die­sel­ben Grund­ge­dan­ken im Fokus: Nach­hal­tig­keit, Down­si­zing, Abkehr vom Main­stream, Indi­vi­dua­li­tät, Ver­bun­den­heit mit der Umwelt, Zeit für die eige­ne Fami­lie. Und auch hier ver­birgt sich die eigent­li­che Exklu­si­vi­tät und ange­streb­te luxu­riö­se Hoch­wer­tig­keit des Lebens­stils nur sehr dürf­tig hin­ter dem Schlei­er von Rus­ti­ka­li­tät und Einfachheit.

Inter­pas­si­vi­tät und Pseudoaktivität

Was sich hier zeigt, ist die Ver­schrän­kung von Inter­pas­si­vi­tät und Pseu­do­ak­ti­vi­tät. Nach Robert Pfal­ler (2008) beschreibt Inter­pas­si­vi­tät das Dele­gie­ren von Hand­lun­gen und Emp­fin­dun­gen an äuße­re Objek­te. Zumeist wird der Begriff auf das Dele­gie­ren von Genuss ange­wandt, bei­spiels­wei­se in Form von laugh tracks in Sit­coms oder die Anteil­nah­me von Zuschau­ern etwa an Sport­sen­dun­gen. Pseu­do­ak­ti­vi­tät beschreibt nach Theo­dor Ador­no (2003) den Ver­such des Indi­vi­du­ums, sich durch emsi­ge Tätig­keit auf der Mikroebe­ne Erleich­te­rung von gesamt­ge­sell­schaft­li­chen Miss­stän­den und Zwän­gen zu ver­schaf­fen und dies in der Über­zeu­gung, die­se klein­räu­mi­gen Hand­lun­gen könn­ten lang­fris­tig zur Besei­ti­gung besag­ter Miss­stän­de führen.

Das Ziel­pu­bli­kum nagt inter­pas­siv am tem­po­rä­ren Genuss, den die Chefs aus ihrer eige­nen Pseu­do­ak­ti­vi­tät schöp­fen, doch satt wird davon niemand.

Bei unse­rem Nar­ra­tiv tref­fen bei­de Phä­no­me­ne zusam­men: Um im Gefühl eines nach­hal­ti­gen Life­styl­es zu schwel­gen, braucht man weder an der Pro­duk­ti­on noch an der Zube­rei­tung der nach­hal­ti­gen Lebens­mit­tel betei­ligt zu sein. Man braucht die nach­hal­ti­gen Spei­sen nicht ein­mal selbst zu ver­zeh­ren. Um es auf die Spit­ze zu trei­ben, braucht man die­je­ni­gen, die ver­zeh­ren und pro­du­zie­ren, nicht ein­mal selbst dabei zu beob­ach­ten, auch das wird auf das Kame­ra­team bezie­hungs­wei­se den Autor aus­ge­la­gert. Das Ziel­pu­bli­kum nagt inter­pas­siv am tem­po­rä­ren Genuss, den die Chefs aus ihrer eige­nen Pseu­do­ak­ti­vi­tät schöp­fen, doch satt wird davon nie­mand. Die ober­fläch­li­che Behand­lung von Sym­pto­men kann den grund­le­gen­den Kon­flikt nicht auf­lö­sen, der durch die Ent­frem­dung von Indi­vi­du­um und Ess-Waren entsteht.

Pseu­do-Akti­vi­tät ist gene­rell der Ver­such, inmit­ten einer durch und durch ver­mit­tel­ten und ver­här­te­ten Gesell­schaft sich Enkla­ven der Unmit­tel­bar­keit zu ret­ten. Ratio­na­li­siert wird das damit, die klei­ne Ver­än­de­rung sei eine Etap­pe auf dem lan­gen Weg zu der des Gan­zen. Das fata­le Modell von Pseu­do-Akti­vi­tät ist das »Do it yours­elf«, Mach es sel­ber“ (Ador­no 2003 [1969]: 797).

Lite­ra­tur

Bay­ly, Chris­to­pher. 2006. Die Geburt der moder­nen Welt. Eine Glo­bal­ge­schich­te 1780–1914. Frank­furt am Main.

Gid­dens, Antho­ny. 1991. Moder­ni­ty and Self-Iden­ti­ty. Palo Alto, CA.

Pfal­ler, Robert (Hg.). 2000. Inter­pas­si­vi­tät. Stu­di­en über dele­gier­tes Genie­ßen. Ber­lin

Ador­no, Theo­dor W. 2003. „Resi­gna­ti­on“, in: Kul­tur­kri­tik und Gesell­schaft II (Bd. 10), Gesam­mel­te Schrif­ten in 20 Bän­den. Frank­furt am Main.

 

Bild­nach­weis

Das Titel­bild zeigt Mari­lyn Mon­roe 1957 in New York (Get­ty Images)

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Jan­na Kraus

Jan­na Kraus hat All­ge­mei­ne Geschich­te, Deut­sche Lite­ra­tur- und Sprach­wis­sen­schaf­ten sowie Kul­tur­ana­ly­se an der Uni­ver­si­tät Zürich stu­diert. Neben ihrer Dok­tor­ar­beit schreibt sie für ver­schie­de­ne Medi­en. Zudem ist sie Medi­en­spre­che­rin des Trans­gen­der Net­work Switzerland.

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