Die fran­zö­si­sche hau­te cui­sine gilt in der west­li­chen Welt als Mut­ter der Gour­met-Küche. Sie ent­stand im 17. Jahr­hun­dert im Zuge einer Zivi­li­sie­rung des krie­ge­ri­schen Adels. Das bür­ger­li­che Zeit­al­ter stan­dar­di­sier­te dar­auf­hin die höfi­sche Küche, so dass sie sich dank Restau­rants und Hotels in ganz Euro­pa aus­brei­ten konn­te. Bis heu­te geblie­ben ist ihr ein Inno­va­ti­ons­zwang, der auf ande­re Küchen ausstrahlt. 

Spre­chen wir von der fran­zö­si­schen Küche, mei­nen wir meist die geho­be­ne Küche, je nach Epo­che und Sprach­ge­brauch auch als gran­de oder hau­te cui­sine bezeich­net. Ihr attes­tie­ren wir im Ver­gleich zu den fran­zö­si­schen Regio­nal­kü­chen und zu den Küchen ande­rer euro­päi­scher Län­der ein beson­de­res Maß an Raf­fi­nes­se, Deli­ka­tes­se und Finesse.

Die fran­zö­si­sche hau­te cui­sine ist das Resul­tat eines mehr oder weni­ger radi­ka­len Bruchs mit den Tra­di­tio­nen der spät­mit­tel­al­ter­li­chen Herr­schafts­kü­che. Die­se basier­te auf der Ver­wen­dung von teu­ren exo­ti­schen Gewür­zen, und die Koch­me­tho­den waren, dem Stand der Küchen­tech­nik ent­spre­chend, ein­fach. Im Vor­der­grund stan­den nicht ein­zel­ne Gerich­te. Was zähl­te, war viel­mehr der Gesamt­ein­druck, den die auf­ge­tisch­ten Spei­sen auf die Tafeln­den machten.

Auch im 16. Jahr­hun­dert hat­te sich an die­ser Tra­di­ti­on kaum etwas geän­dert. Über mehr als hun­dert Jah­re wur­de in Frank­reich kein ein­zi­ges Koch­buch gedruckt, das sich wesent­lich von sei­nen Vor­gän­gern unter­schied. Erst im Jah­re 1604 erschien mit Lan­ce­lot de Cas­te­aus Ouver­tu­re de cui­sine ein Koch­buch in fran­zö­si­scher Spra­che, das sich nicht mehr an den mit­tel­al­ter­li­chen Koch­tra­di­tio­nen ori­en­tier­te, son­dern einen neu­en kuli­na­ri­schen Ein­fluss erken­nen ließ: den der ita­lie­ni­schen Renais­sance­kü­che. Wie Bar­to­lo­meo Scap­pis 1570 ver­öf­fent­lich­tes pracht­vol­les Koch­buch Ope­ra bezeugt, hat­te die Koch­kunst im Ita­li­en der Spät­re­nais­sance ein in Euro­pa bis dahin uner­reich­tes Niveau gas­tro­no­mi­scher Raf­fi­nes­se erreicht.

Radierung aus: Scappi, Bartolomeo. 1570. <em>Opera</em> (Bild: Sotheby's)
Radie­rung aus: Scap­pi, Bar­to­lo­meo. 1570. Ope­ra (Bild: Sotheby’s)

Geschmack

Trotz der nach­las­sen­den poli­ti­schen und kul­tu­rel­len Bedeu­tung Ita­li­ens deu­te­te zu Beginn des 17. Jahr­hun­derts nichts dar­auf hin, dass Frank­reich weni­ge Jahr­zehn­te spä­ter das Zen­trum ver­fei­ner­ter Koch- und Ess­kul­tur wer­den sollte.

Chimenti, Jacopo. 1600. Die Hochzeit von Katharina von Medici und Heinrich II.
Chi­men­ti, Jaco­po. 1600. Die Hoch­zeit von Katha­ri­na von Medi­ci und Hein­rich II

Wie aber kam es in Frank­reich zum Bruch mit den mit­tel­al­ter­li­chen Küchen­tra­di­tio­nen und zur Geburt der gran­de cui­sine? Han­delt es sich dabei um eine zufäl­li­ge Ent­wick­lung, um eine Lau­ne der Geschich­te? Oder steckt ein gesell­schaft­li­cher Struk­tur­wan­del dahin­ter? Oder ist es gar das Ver­dienst einer ein­zi­gen Person?

Kon­kret: War Katha­ri­na von Medi­ci dafür ver­ant­wort­lich? Die­se kam 1533 im Alter von 14 Jah­ren nach Frank­reich, um den gleich­alt­ri­gen Hein­rich von Orlé­ans, den spä­te­ren König Hein­rich II., zu hei­ra­ten. Die von ihr mit­ge­brach­ten Köche und Kon­di­to­ren sol­len in der Fol­ge die fran­zö­si­sche Herr­schafts­kü­che revo­lu­tio­niert haben. Die­se häu­fig kol­por­tier­te Legen­de hält jedoch den his­to­ri­schen Tat­sa­chen nicht stand, denn die umwäl­zen­den Ver­än­de­run­gen in den Küchen der fran­zö­si­schen Aris­to­kra­tie fan­den nicht im 16., son­dern in der zwei­ten Hälf­te des 17. Jahr­hun­derts statt.

Neben ande­ren Fein­hei­ten erkor die höfi­sche Aris­to­kra­tie nun auch die Küche und den Ess­tisch zu einem wich­ti­gen Demons­tra­ti­ons­feld sozia­ler Distinktion.

Die Geburt der gran­de cui­sine ist nicht das Werk einer ein­zel­nen Per­son und ihrer Entou­ra­ge. Sie ist viel­mehr vor dem Hin­ter­grund der Pazi­fi­zie­rung des Krie­ge­ra­dels am Hofe und der Her­aus­bil­dung der abso­lu­tis­tisch-höfi­schen Aris­to­kra­tie zu sehen. Bemer­kens­wer­ter­wei­se weich­ten im Zuge die­ses Pro­zes­ses die Stan­des­schran­ken auf: Aris­to­kra­ti­sche und groß­bür­ger­li­che Milieus began­nen sich gegen­sei­tig zu durch­drin­gen. Damit wur­de die bis dahin in ihrer Eli­te­stel­lung unan­ge­foch­te­ne Aris­to­kra­tie gezwun­gen, ihr Ver­hal­ten und ihren Umgang so aus­zu­for­men, dass die sozia­le Distanz zumin­dest sym­bo­lisch gewahrt blieb. Klei­ne, unschein­ba­re Details wur­den bedeu­tungs­voll. Neben ande­ren Fein­hei­ten erkor die höfi­sche Aris­to­kra­tie nun auch die Küche und den Ess­tisch zu einem wich­ti­gen Demons­tra­ti­ons­feld sozia­ler Distinktion.

Die Mahl­zeit als Spek­ta­kel, Sze­ne aus Vatel (Jof­fé 2000) 

Zwar boten bereits die Spei­sen der mit­tel­al­ter­li­chen Fest­kü­che ein Spek­ta­kel – zumin­dest dem Auge. Der fran­zö­si­sche Hof aber schenk­te nun dem Essen selbst sei­ne vol­le Auf­merk­sam­keit. Die Art und Wei­se, wie eine Mahl­zeit vom Tisch­de­kor, der Orga­ni­sa­ti­on der Bedie­nung, der Aus­wahl und Zube­rei­tung der Spei­sen bis hin zu den Tisch­ma­nie­ren insze­niert wur­de, gab nicht nur Auf­schluss über den Stand, son­dern auch über den Sta­tus inner­halb des Stan­des. Das Refe­renz­mo­dell, nach dem man sich zunächst in Frank­reich, spä­ter in ganz Euro­pa ori­en­tier­te, war die Adels­ge­sell­schaft am Hof Lud­wigs XIV.

Die maß­ge­ben­de, höfi­sche Gesell­schaft bil­de­te sich, wie man weiß, in Frank­reich. Von Paris aus brei­te­ten sich die glei­chen Umgangs­for­men, die glei­chen Manie­ren, der glei­che Geschmack und die glei­che Spra­che für kür­ze­re oder län­ge­re Zeit über alle ande­ren Höfe Euro­pas aus.“ (Eli­as 1997 [1939]: 12).

Das Zele­brie­ren guter Manie­ren und guten Geschmacks wur­de zum Gegen­stand häu­fig wech­seln­der Moden. Sie mach­ten den Par­ve­nüs, die immer dann, wenn sie glaub­ten, durch Prunk und Auf­wand mit den Edel­leu­ten alten Schlags gleich­zie­hen zu kön­nen, von neu­em klar, dass sie immer noch weit von ihrem Ziel ent­fernt waren, in der Hier­ar­chie aufzusteigen.

Kom­ple­xe Koch­me­tho­den und raf­fi­nier­te Küchen­krea­tio­nen demons­trier­ten fort­an die sozia­len Unterschiede.

Im Zuge die­ses Struk­tur­wan­dels ent­wi­ckel­te sich ein neu­er kuli­na­ri­scher Stil, der mit den aus dem Mit­tel­al­ter über­lie­fer­ten Gewohn­hei­ten radi­kal brach. La Varen­nes Le cui­sini­er fran­çois aus dem Jah­re 1651 war das ers­te einer Rei­he von Koch­bü­chern, die in der zwei­ten Hälf­te des 17. Jahr­hun­derts für die gens de qua­li­té ein neu­es kuli­na­ri­sches Savoir-viv­re präg­ten. Indem La Varen­ne im Titel das Adjek­tiv „fran­zö­sisch“ ver­wen­de­te, mach­te er deut­lich, dass man in den Groß­kü­chen der fran­zö­si­schen Aris­to­kra­tie nun­mehr eine eigen­stän­di­ge Koch­kunst prak­ti­zier­te, die sich von gas­tro­no­mi­schem Sach­ver­stand lei­ten ließ und als Aus­druck von Zivi­li­siert­heit und höfi­scher Eti­ket­te den guten Geschmack ins Zen­trum ihrer Bemü­hun­gen rückte.

Wor­in bestand die­ser neue Stil? Zunächst ging der fürs Mit­tel­al­ter typi­sche osten­ta­ti­ve Gewürz­ver­brauch dras­tisch zurück. Mit den Ent­de­ckungs­rei­sen und den ver­mehr­ten Han­dels­kon­tak­ten ver­lo­ren die exo­ti­schen Pro­duk­te mehr und mehr ihre Exklu­si­vi­tät und somit auch ihre Funk­ti­on als Medi­en sozia­ler Distink­ti­on. Ihr Kon­sum war nicht län­ger einer schma­len Eli­te­schicht vor­be­hal­ten. Und da Mus­kat­nuss, Gewürz­nel­ken, Zimt, Zucker und Pfef­fer längst Ein­zug in die Küchen des geho­be­nen Bür­ger­tums gehal­ten hat­ten, waren sie nicht län­ger geeig­net, den Unter­schied zwi­schen der Herr­schafts­kü­che und der bür­ger­li­chen Küche zu mar­kie­ren. Kom­ple­xe Koch­me­tho­den und raf­fi­nier­te Küchen­krea­tio­nen demons­trier­ten fort­an die sozia­len Unterschiede.

Nur weni­ge Jah­re nach La Varen­ne gelang­ten auch ande­re Küchen­meis­ter mit ihren Rezept­samm­lun­gen an die Öffent­lich­keit. So etwa 1654 Nico­las de Bon­ne­fons mit Les déli­ces de la cam­pa­gne, 1656 Pierre de Lune mit Le cui­sini­er und 1674 ein gewis­ser L. S. R. (es ist nicht bekannt, wer sich hin­ter dem Pseud­onym ver­steckt) mit L’art de bien trai­ter. Ihre Bücher bestä­ti­gen, dass La Varen­nes Werk Anfang und Teil einer umfas­sen­den Küchen­re­vo­lu­ti­on war, die die geho­be­ne Gas­tro­no­mie auch außer­halb Frank­reichs grund­le­gend und nach­hal­tig ver­än­dern sollte.

Sys­te­ma­tik

Obwohl die Koch­bü­cher den kuli­na­ri­schen Umbruch öffent­lich ver­kün­de­ten, setz­ten sich die neu­en Stan­dards vor­erst nur in den Groß­kü­chen der euro­päi­schen Adels­pa­läs­te durch. Gleich­wohl zeich­ne­te sich im 18. Jahr­hun­dert eine „Aus­wei­tung der kuli­na­ri­schen Kampf­zo­ne“ ab. Ste­hen die bei­den Begrif­fe gran­de cui­sine und hau­te cui­sine für eine, wie der Name andeu­tet, aris­to­kra­ti­sche Tafel­kul­tur, die in jeder Bezie­hung kei­nen Auf­wand scheu­te, so eta­blier­te sich im Lau­fe des 18. Jahr­hun­derts die cui­sine bour­geoi­se. Die bür­ger­li­che Koch- und Tafel­kul­tur ori­en­tier­te sich zwar an den kuli­na­ri­schen Stan­dards der gran­de cui­sine, doch bemüh­te sie sich zugleich, distink­ti­ve Wir­kung und öko­no­mi­schen Auf­wand in Balan­ce zu halten.

Die cui­sine bour­geoi­se grenz­te sich ihrer­seits von der cui­sine pay­san­ne ab, jener eher schlich­ten, sai­son­ge­bun­de­nen Küche der Land­be­völ­ke­rung, die auf der Ver­ar­bei­tung und der Zube­rei­tung von loka­len und regio­nal erzeug­ten Pro­duk­ten beruht und die damit auf ihre eige­ne Art die Viel­falt und den Reich­tum der Küchen­kul­tur Frank­reichs unter­streicht. Im 19. Jahr­hun­dert schaff­ten sogar zahl­rei­che, zuvor wenig beach­te­te Spe­zia­li­tä­ten der fran­zö­si­schen Land­kü­chen den „sozia­len Auf­stieg“: Sie wur­den in den kuli­na­ri­schen Schatz der cui­sine bour­geoi­se, ja sogar der hau­te cui­sine aufgenommen.

Waren die pri­va­ten Sou­pers in den Adels­pa­lais die cha­rak­te­ris­ti­sche gas­tro­no­mi­sche Aus­drucks­form der höfi­schen Gesell­schaft des 18. Jahr­hun­derts gewe­sen, so avan­cier­ten im 19. Jahr­hun­dert die Restau­rants, die grund­sätz­lich jedem offen­stan­den, zu deren Pen­dants in der bür­ger­li­chen Gesell­schaft. Vie­les von dem, was die Hof­kü­che an Koch­tech­ni­ken, Zube­rei­tungs­ar­ten und Essens­krea­tio­nen ent­wi­ckelt hat­te, fand im 19. Jahr­hun­dert Ein­gang in das kuli­na­ri­sche Pro­gramm der Restau­rant­kü­chen, die nun zu den neu­en Prä­ge­zen­tren der hau­te cui­sine aufstiegen.

Ein­zel­ne Gerich­te ent­ste­hen durch das geschick­te Kom­bi­nie­ren kuli­na­ri­scher Bausteine.

Nicht zu unter­schät­zen ist dabei der Ein­fluss zwei­er her­aus­ra­gen­der Köche , die – jeder auf sei­ne Wei­se und in sei­ner Zeit – die fran­zö­si­sche Hoch­kü­che beein­fluss­ten: Anto­nin Carê­me (1784–1833) und Augus­te Escof­fier (1846–1935). Carê­me erwei­ter­te, modi­fi­zier­te, sys­te­ma­ti­sier­te und kodi­fi­zier­te das vor­han­de­ne Küchen­wis­sen und leg­te mit sei­ner Arbeit und sei­nen Publi­ka­tio­nen das soli­de Fun­da­ment für die fran­zö­si­sche hau­te cui­sine des 19. Jahr­hun­derts. Sei­ne Küche basiert auf einer Rei­he von Grund­zu­be­rei­tun­gen. Die ein­zel­nen Gerich­te ent­ste­hen durch das geschick­te Kom­bi­nie­ren die­ser kuli­na­ri­schen Bau­stei­ne. Bis heu­te zeich­net sich die klas­si­sche fran­zö­si­sche Hoch­kü­che durch die­se modu­la­re Struk­tur aus.

de Steuben, Charles. Marie-Antoine Carême
de Steu­ben, Charles. o. J. Anto­nin Carême

Nach der Insti­tu­ti­on des Restau­rants ent­stand mit dem Grand Hotel gegen Ende des 19. Jahr­hun­derts ein wei­te­res gas­tro­no­mi­sches Gra­vi­ta­ti­ons­zen­trum, das untrenn­bar mit dem Namen von Augus­te Escof­fier ver­bun­den ist. Gemein­sam mit dem Schwei­zer Hote­lier César Ritz form­te er den gas­tro­no­mi­schen Stil der gro­ßen Hotel­pa­läs­te. Die­se dien­ten dank der Erschlie­ßung Euro­pas durch die Eisen­bahn in den 1880er Jah­ren zuneh­mend als illus­tre Auf­ent­halts- und Begeg­nungs­zen­tren für die hau­te volée.

Dazu gesell­ten sich die fast zwang­haf­ten Bemü­hun­gen, die neu­ig­keits­ver­ses­se­nen Gäs­te mit neu­en Krea­tio­nen zu über­ra­schen und zu beeindrucken.

Auch wenn Escof­fier für eine Küche der Klar­heit plä­dier­te und die Ver­wen­dung von zu vie­len Ingre­di­en­zi­en ablehn­te, war sei­ne hau­te cui­sine nicht der Ein­fach­heit ver­pflich­tet. So wie die impo­san­te Burg‑, Tem­pel- oder Palast­ar­chi­tek­tur der Grands Hotels Exklu­si­vi­tät, Macht und Reich­tum sym­bo­li­sier­te, so war auch sei­ne Küche dar­auf aus­ge­legt, zu impo­nie­ren. Für die­sen Küchen­stil cha­rak­te­ris­tisch waren die auf­wen­di­gen und – im Ver­gleich zu heu­te – opu­len­ten Menüs sowie die Ver­wen­dung aus­ge­such­ter Edel­pro­duk­te wie Kavi­ar, foie gras oder Trüffel.

Im Savoy Hotel Lon­don arbei­te­ten sie erst­mals zusam­men: César Ritz als Hotel­di­rek­tor und Augus­te Escof­fier als Küchenchef.

Escof­fiers gas­tro­no­mi­sches Regel­werk domi­nier­te die inter­na­tio­na­le Hoch­kü­che bis in die zwei­te Hälf­te des 20. Jahr­hun­derts. Obwohl Escof­fier selbst ein Neue­rer gewe­sen war, der sei­ne Küche an die Lebens­ge­wohn­hei­ten und Bedürf­nis­se der Eli­ten sei­ner Zeit ange­passt hat­te, erstarr­te in der Fol­ge sein Küchen­stil zu einem Dog­ma, das bis in die 1960er Jah­re die geho­be­ne Gas­tro­no­mie prägte.

Inno­va­ti­on

Doch die Zei­ten hat­ten sich geän­dert. Im Zuge des wirt­schaft­li­chen und gesell­schaft­li­chen Auf­bruchs in der Nach­kriegs­zeit und des damit ein­her­ge­hen­den kul­tu­rel­len Wan­dels distan­zier­ten sich eini­ge jün­ge­re fran­zö­si­sche Küchen­chefs von der über­la­de­nen, butter‑, mehl- und sau­cen­rei­chen Hoch­kü­che der Jahr­hun­dert­wen­de. Paul Bocu­se, Jean und Pierre Trois­gros, Michel Gué­rard, Alain Cha­pel, Alain Sen­der­ens und ande­re began­nen – jeder auf sei­ne Manier – eine zeit­ge­mä­ße, leich­te­re und inno­va­ti­ve Küche zu prak­ti­zie­ren, die anfangs der 1970er Jah­re unter dem Sam­mel­be­griff nou­vel­le cui­sine Furo­re machen sollte.

Mit der Aus­brei­tung der nou­vel­le cui­sine weit über Frank­reich hin­aus nahm der Inno­va­ti­ons­druck auf die Köche enorm zu.

Dank der geschick­ten Selbst­in­sze­nie­rung und der medi­al mit­ge­schür­ten Begeis­te­rung für das Neue erlang­ten vie­le der jun­gen Chefs gar den Sta­tus gefei­er­ter Stars. Damit änder­te sich frei­lich auch ihr beruf­li­ches Selbst­ver­ständ­nis. Zeich­ne­te sich bis dahin ein guter Koch in ers­ter Linie dadurch aus, dass er es – einem Musi­ker gleich – ver­stand, dem rie­si­gen Gas­tro­no­mie­re­per­toire ent­nom­me­ne kuli­na­ri­sche Wer­ke vir­tu­os zu inter­pre­tie­ren, so ver­such­ten – um beim Bild aus der Musik zu blei­ben – die Expo­nen­ten der nou­vel­le cui­sine, sich weni­ger als Inter­pre­ten denn als Kom­po­nis­ten zu pro­fi­lie­ren. Bis in die 1970er Jah­re hat­ten sich die Menü­kar­ten in den Hoch­kü­chen-Restau­rants nur lang­sam geän­dert. Man setz­te auf die Klas­si­ker des Hau­ses und begnüg­te sich damit, pro Jahr ein oder zwei neue Gerich­te ein­zu­füh­ren. Mit der Aus­brei­tung der nou­vel­le cui­sine weit über Frank­reich hin­aus, die durch die gro­ße Medi­en­prä­senz ihrer bekann­tes­ten Expo­nen­ten beschleu­nigt wur­de, nahm der Inno­va­ti­ons­druck auf die Köche enorm zu.

… Mole­ku­lar­kü­che, dekon­struk­ti­vis­ti­sche Avant­gar­de­kü­che, nor­di­sche Küche oder radi­ka­le Regionalküche …

Wie in der hau­te cou­ture, wo der schnel­le Mode­wech­sel seit lan­gem zu den Grund­kon­stan­ten der Bran­che gehört, avan­cier­te nun auch in den Loka­len der neu­en Krea­tiv­gas­tro­no­mie die stän­di­ge Erneue­rung des Spei­sen­an­ge­bots zu einem von Gas­tro­füh­rern und Gäs­ten nicht sel­ten über­be­wer­te­ten Qua­li­täts­kri­te­ri­um. Wie auch immer die gas­tro­no­mi­schen Mode­trends hei­ßen, die in jüngs­ter Zeit pro­kla­miert wor­den sind – Mole­ku­lar­kü­che, dekon­struk­ti­vis­ti­sche Avant­gar­de­kü­che, nor­di­sche Küche oder radi­ka­le Regio­nal­kü­che –, eines ist ihnen allen gemein­sam: Sie alle sind geprägt von den Koch­tech­ni­ken, den Zube­rei­tungs­ar­ten und dem enorm viel­fäl­ti­gen und vari­an­ten­rei­chen kuli­na­ri­schen Reper­toire der fran­zö­si­schen hau­te cui­sine. Und sie selbst ist seit ihren Anfän­gen in der zwei­ten Hälf­te des 17. Jahr­hun­derts zu einem ver­äs­tel­ten und wei­ter­hin wach­sen­den Gebil­de natio­na­ler und inter­na­tio­ne­ler Strö­mun­gen, Ten­den­zen und Moden geworden.

Lite­ra­tur

Eli­as, Nor­bert. 1997 [1939]. Über den Pro­zess der Zivi­li­sa­ti­on. Soziogeneti­sche und psy­cho­ge­ne­ti­sche Unter­su­chun­gen,Frank­furt a. M.

Freed­man, Paul (Hg.). 2007. Essen. Eine Kul­tur­ge­schich­te des Geschmacks, Darm­stadt.

Men­nell, Ste­phen. 1985.  All Man­ners of Food: Eating and Tas­te in Eng­land and France from the Midd­le Ages to the Pre­sent, Oxford u.a.

Pit­te, Jean-Robert. 1991. Gas­tro­no­mie fran­çai­se. His­toire et géo­gra­phie d’une pas­si­on, Paris.

Whea­ton, Bar­ba­ra Ket­cham. 1983. Savoring the Past: The French Kit­chen and Table from 1300 to 1789, Phil­adel­phia.

Bild­nach­weis

Das Titel­bild zeigt Charles Ritz, 77, Sohn von César Ritz, der die Küche von Robert Mey­er inspi­ziert (Get­ty Images).

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Rudolf Tref­zer

Rudolf Tref­zer ist pro­mo­vier­ter His­to­ri­ker, Publi­zist und Mit­ar­bei­ter von Radio SRF. Er befasst sich schwer­punkt­mäs­sig mit The­men der Koch‑, Ess- und Trink­kul­tur. Neben zahl­rei­chen Arti­keln in Zei­tun­gen und Zeit­schrif­ten ist von ihm im Chro­nos Ver­lag das Buch Klas­si­ker der Koch­kunst. Die fünf­zehn wich­tigs­ten Rezept­bü­cher aus acht Jahr­hun­der­ten erschie­nen. Er lebt in der Nähe von Zürich.

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