Müt­ter, wie wir sie ken­nen, soll es kei­ne mehr geben. In ihrem gefei­er­ten Mani­fest Full Sur­rog­a­cy Now (2019) lädt Sophie Lewis uns ein, uto­pisch über Schwan­ger­schaft nachzudenken.

Schwan­ger­schafts­ar­beit

Es ist ein Wun­der, dass wir Föten in uns hin­ein­las­sen. Kei­ne ande­re Tätig­keit mit einer so hohen Ster­be­ra­te wird so wenig geschätzt – poli­tisch, gesell­schaft­lich, wis­sen­schaft­lich. Schwan­ger zu sein scheint zu natür­lich, um als Hand­lung ent­spre­chend gewür­digt zu werden.

Lewis, Sophie. 2019. <em>Full Surrogacy Now</em>
Lewis, Sophie. 2019. Full Sur­rog­a­cy Now

In ihrem Debüt wei­gert sich Sophie Lewis, die Risi­ken und das Lei­den einer Schwan­ger­schaft als natür­lich zu beschö­ni­gen. Sie setzt dage­gen: «We made them this way», aus poli­ti­schen und öko­no­mi­schen Grün­den. Und sowie­so: «Why accept natu­re as natural?»

Wer vor zwei­hun­dert Jah­ren ein Kind erwar­te­te, war nicht, son­dern «ging schwan­ger», so die His­to­ri­ke­rin Bar­ba­ra Duden (2002). Lewis fän­de an die­sem Aus­druck Gefal­len. Denn Schwan­ger­ge­hen, so lau­tet ihr ers­ter und viel­leicht wich­tigs­ter Punkt, ist Arbeit, Schwerst­ar­beit sogar. Das heisst: Solan­ge die­se in einem kapi­ta­lis­ti­schen Wirt­schafts­sys­tem ver­wur­zelt ist, muss sie auch bezahlt wer­den. Ihr Wert muss sicht­bar sein. Dies öff­net die Tür für gesetz­li­che und gewerk­schaft­li­che Regelungen.

Gegen die Leibeigenschaft

Eine in Fleisch und Blut über­ge­gan­ge­ne Rhe­to­rik for­mu­liert die Schwan­ger­schaft bis heu­te als Besitz­an­spruch. Gehen wir schwan­ger, bekom­men wir ein eige­nes Kind. Es ist unse­res. Sind wir Leih­müt­ter, dann gebä­ren wir ein Kind für jemand ande­ren. Ob gekauft oder bekom­men – das Kind gehört einem. Die­ses Besitz­den­ken ent­stammt der Öko­no­mie und der moder­nen Fixie­rung auf gene­ti­sche Eltern­schaft. Es ver­kennt die sozia­le Ver­wandt­schaft: all die Bezie­hun­gen, die Kin­der zu Men­schen in ihrem Umfeld auf­bau­en und unter­hal­ten. Lewis kri­ti­siert: Ein Kind kann höchs­tens sich selbst gehö­ren. Oder zu jeman­dem. Alles ande­re ist eine öko­no­mi­sche Fan­ta­sie, eine bür­ger­li­che Konstruktion.

Ein Kind kann höchs­tens sich selbst gehö­ren. Alles ande­re ist eine öko­no­mi­sche Fantasie.

Eltern­schaft bedeu­tet, so die Wis­sen­schafts­theo­re­ti­ke­rin und Femi­nis­tin Don­na Hara­way, für die nächs­te Gene­ra­ti­on zu sor­gen. Ganz egal, in wel­chem Ute­rus die­se her­an­wächst. Das hat mit Repro­duk­ti­on wenig zu tun, bedeu­tet die­se doch kaum mehr als «making more of ones­elf to popu­la­te the future». Abge­se­hen davon ist Repro­duk­ti­on sowie­so ein Hirn­ge­spinst. Kein Eltern­teil lebt wirk­lich im ver­meint­lich eige­nen Kind wei­ter – in die­sem zufäl­lig zusam­men­ge­wür­fel­ten Genpaket.

Schwan­ger­schafts­kom­mu­nen und que­e­re Wahlverwandtschaft

Wie sieht sie aus, Lewis’ Uto­pie ohne Müt­ter? Letzt­lich macht die Theo­re­ti­ke­rin aus der Leih­mut­ter­schaft ein Modell: Was wäre, wenn das Kind, mit dem ich schwan­ger gehe, mir nicht gehör­te, mir viel­mehr anver­traut wäre? Ich hät­te ein Recht auf eine fai­re Ent­löh­nung die­ser gefähr­li­chen Arbeit. Doch das Kind wäre nicht der Preis für mei­ne Mühe. Schwan­ger­schafts­ar­beit wäre somit kein Bau­stein einer Besitz­lo­gik, die Kin­der in die bür­ger­li­che Fami­lie hin­ein privatisiert.

Lewis denkt Ver­wandt­schafts­mo­del­le statt­des­sen kol­lek­tiv. Alle hät­ten glei­cher­mas­sen Zugang zu Gesund­heits­für­sor­ge und Repro­duk­ti­ons­tech­nik. Lewis’ que­e­re Kom­mu­ne basiert auf Für­sor­ge, Ver­ant­wort­lich­keit und Soli­da­ri­tät. Und nicht auf Genen. Kin­der wer­den von meh­re­ren Men­schen umsorgt, die nicht zwangs­läu­fig Frau­en sind – und auch nicht „Müt­ter“ heis­sen. Denn die­ser Begriff ist nach wie vor weib­lich, weiss und bür­ger­lich besetzt. Lewis’ Uto­pie stellt die Gemein­schafts­er­fah­run­gen von Peo­p­le of Color, Schwar­zen Men­schen und quee­ren Per­so­nen ins Zen­trum. Sie lehrt uns vor allem eins: Schwan­ger­ge­hen ist nicht Pri­vat­sa­che, son­dern hoch politisch.

Full Sur­rog­a­cy Now: Sophie Lewis im Interview

Lite­ra­tur

Duden, Bar­ba­ra. 2002. «Zwi­schen ‘wah­rem Wis­sen’ und Pro­phe­tie: Kon­zep­tio­nen des Unge­bo­re­nen». In: Geschich­te des Unge­bo­re­nen. Zur Erfah­rungs- und Wis­sen­schafts­ge­schich­te der Schwan­ger­schaft, 17.–20. Jahr­hun­dert. Göt­tin­gen.

Hara­way, Don­na. «Spe­cu­la­ti­ve Fabu­la­ti­ons for Technoculture’s Gene­ra­ti­ons». The Mul­tis­pe­ci­es Salon. Online.

Lewis, Sophie. 2019. «Full Sur­rog­a­cy Now». Lon­don /​ New York.

Bild­nach­weis

Acri­lan Decken. Bri­ti­sche Print­wer­bung aus den 1950-Jahren.

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