Ame­ri­ka im Juli 2016. Die Grand Old Par­ty schickt einen erstaun­li­chen Kan­di­da­ten ins Ren­nen um die Prä­si­dent­schaft der USA. Der Welt­öf­fent­lich­keit prä­sen­tiert sie einen auf­fäl­lig fri­sier­ten Mann mit einer Nei­gung zu Gold, Glit­zer und schö­nen Frau­en. In den kom­men­den Mona­ten wird die­ser hem­mungs­los lügen, bluf­fen, stän­dig sei­ne Mei­nung wech­seln – ohne in der Gunst der Wäh­ler zu sin­ken. Der­weil hat sei­ne demo­kra­ti­sche Kon­kur­ren­tin Hil­la­ry Clin­ton über ihre Ein­künf­te, Steu­ern und E‑mails  Rechen­schaft abzu­le­gen, ohne dass von die­ser Recht­schaf­fen­heit jemand Notiz nimmt.

Ent­spre­chend war die Rede von einer post­fak­ti­schen Poli­tik, bei der alles ande­re, nur die Tat­sa­chen nicht zäh­len. Doch war­um, so haben wir die Ame­ri­ka­nis­tin und Lite­ra­tur­wis­sen­schaft­le­rin Eli­sa­beth Bron­fen gefragt, kann ein offen­sicht­li­cher Hoch­stap­ler wie Trump über­haupt eine der­ar­ti­ge Posi­ti­on erlangen?

 

Elisabeth Bronfen
Eli­sa­beth Bronfen

Eli­sa­beth Bron­fen beginnt das Gespräch mit einem Zitat aus Trumps Auto­bio­gra­phie The Art of the Deal:

I play to people’s fan­ta­sies. . . . Peo­p­le want to belie­ve that some­thing is the big­gest and the grea­test and the most spec­ta­cu­lar. I call it truthful hyper­bo­le.“ (Trump und Schwartz 1987)

Eine sol­che Hyper­bel, eine der­ar­ti­ge Über­trei­bung aber, so Bron­fen, kön­ne ja nicht wahr­haft sein. Das sei ein Wider­spruch in sich selbst. Aller­dings dür­fe man dabei einen Aspekt nicht aus­ser Acht las­sen, den Umstand näm­lich, wonach Men­schen glau­ben wol­len. „Peo­p­le want to believe“.

Ave­nue:  Wenn wir Hoch­stap­ler in Euro­pa betrach­ten, dann geht es um Schich­ten, um Stra­ti­fi­ka­ti­on. Wie steht es um den ame­ri­ka­ni­schen Hoch­stap­ler? In wel­chem Ver­hält­nis steht bei­spiels­wei­se das con game mit der Hochstapelei?

Eli­sa­beth Bron­fen: Über die­ses Ver­hält­nis habe ich auch nach­ge­dacht. Es gibt näm­lich kei­ne deutsch­spra­chi­gen Tex­te zu der Art von Hoch­sta­pe­lei, die mich inter­es­siert. Wer hoch­sta­pelt, gibt vor etwas zu tun oder zu kön­nen, was er eigent­lich nicht kann. Er hängt den Schef­fel nicht zu tief, son­dern zu hoch.

Das ame­ri­ka­ni­sche ‚con game‘ dage­gen geht auf ‚con­fi­dence game‘ zurück. In dem Begriff con­fi­dence liegt der Begriff trust. Der ent­schei­den­de Punkt im ame­ri­ka­ni­schen Ver­ständ­nis des con­fi­dence man oder des con game liegt im Ver­trau­en, das der Ande­re oder man selbst in eine Art Tausch unter­ein­an­der steckt. In der ame­ri­ka­ni­schen Kul­tur beginnt die Geschich­te der con­fi­dence games bereits mit den Puri­ta­nern. Letzt­lich ist das gan­ze ame­ri­ka­ni­sche Pro­jekt ein Spiel mit dem Ver­trau­en in das Ver­spre­chen: ‚Wir gehen nach Ame­ri­ka und wer­den dort die Bibel erfüllen.‘

Doch mög­li­cher­wei­se gehe ich da zu weit zurück. Ich star­te des­halb um 1800 – mit der Idee des Selbst­ent­wurfs, der so wich­tig für den ame­ri­ka­ni­schen Sub­jek­ti­vi­täts­be­griff, den ame­ri­ka­ni­schen Indi­vi­dua­lis­mus ist. Als ers­ten gros­sen con man wür­de ich Ben­ja­min Frank­lin sehen, der sich in sei­ner Bio­gra­fie zu etwas ent­wirft. Das ist in sei­nem Fall kei­nes­falls bösartig.

Ave­nue: Beinhal­tet das ame­ri­ka­ni­sche Recht auf den pur­su­it of hap­pi­ness, dass wir Wet­ten auf die Zukunft ein­ge­hen, in die wir ande­re ein­bin­den – selbst auf die Gefahr hin, dass die Wet­ten sich als Betrug her­aus­stel­len? Ist das Glück­stre­ben ein Glücksspiel?

Bron­fen: Zum ame­ri­ka­ni­schen con man gehört von Anfang an, dass ande­re bereit sind, an Träu­me zu glau­ben, von denen sie wis­sen: Sie sind nicht rea­li­sier­bar. Die Bau­ern, die Hand­wer­ker, die Gou­ver­nan­ten des aus­ge­hen­den 18. Jahr­hun­derts in Euro­pa wuss­ten, dass sie nie auf­stei­gen wür­den. Ame­ri­ka­ner dage­gen glau­ben bis heu­te, auch wenn es kei­ner­lei Anlass dafür gibt, sie könn­ten auf­stei­gen. Wenn man Ame­ri­ka­ner fragt, wer glau­be, dass er zu Leb­zei­ten Mil­lio­när wer­de, sagen 98 Pro­zent, sie könn­ten sich das für sich vor­stel­len. Dabei gelingt das viel­leicht nur einem Pro­zent. Rea­li­tät und Selbst­vor­stel­lung klaf­fen aus­ein­an­der. In die­se Lücke tritt in Ame­ri­ka der con man. Das heisst, con­fi­dence games haben nicht nur etwas mit trust zu tun, son­dern auch mit „peo­p­le want to belie­ve“. Das gilt nicht in glei­cher Form für euro­päi­sche Hoch­stap­ler wie Felix Krull. Der Selbst­be­trug der Ame­ri­ka­ner ist lust­voll, offen und freiwillig.

Der Selbst­be­trug der Ame­ri­ka­ner ist lust­voll, offen und freiwillig.

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Mel­ville, Her­man. 1857. The Con­fi­dence-Man: His Masquerade

Der ent­schei­den­de Hoch­stap­ler­text des 19. Jahr­hun­derts ist Her­mann Mel­vil­les The Con­fi­dence Man – eine Kri­tik an Ralph Wal­do Emer­son mit sei­nen gan­zen Vor­stel­lun­gen von self reli­ance und self deter­mi­na­ti­on. Die­se sah Mel­ville als rie­sig gros­sen con act an. Erzählt wird von einer Rei­se auf einem Damp­fer, der lang­sam den Mis­sis­sip­pi hin­un­ter­fährt, wobei sich die Mit­fah­ren­den – mög­li­cher­wei­se sind sie auch ein­fach Teil einer ein­zi­gen Per­sön­lich­keit – unter­hal­ten. Mel­vil­les con man gewinnt nichts, kein Geld, kein Anse­hen, er macht es ein­fach aus Lust am Spiel. Das ist sehr undeutsch.

Ave­nue: Kann man in Euro­pa also eher von einer ver­ti­ka­len Hoch­sta­pe­lei spre­chen in Hin­blick auf den Auf­stieg in der sozia­len Schicht – und in den USA von einer ‚hori­zon­ta­len Hoch­sta­pe­lei’, einer Hoch­sta­pe­lei in die Zeit, in die Zukunft hinein?

Bron­fen: Nun, die gros­sen Hoch­stap­ler in der ame­ri­ka­ni­schen Pop­kul­tur der Gegen­wart wie im Film The Wolf of Wall Street (Scor­se­se 2013) wol­len schon auf­stei­gen. Der Ame­ri­ka­ni­sche con man ist die Über­trei­bung des ame­ri­ka­ni­schen Traums, der einem ver­spricht, Wohl­stand zu erlan­gen, sich selbst zu defi­nie­ren. Con­fi­dence men und con­fi­dence women trei­ben dies auf die Spit­ze und ad absur­dum; ihr Auf­stieg beruht auf Fik­tio­nen. Sie spie­len mit die­sem Ver­trau­en in eine Kul­tur, in der Auf­stieg grund­sätz­lich mög­lich wäre – anders als in der euro­päi­schen Klassengesellschaft.

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Screen­shot aus The Wolf of Wall Street (Scor­se­se 2014)

Ave­nue: Das nor­ma­le Cur­ri­cu­lum eines Ame­ri­ka­ners weist also eine Wachs­tums­kur­ve auf?

Bron­fen: Das soll­te so sein. Die weis­sen Män­ner, die jetzt Trump wäh­len, sind ver­är­gert dar­über, dass die­se Kur­ve für sie nicht stimmt.[optin-monster-shortcode id=„dt9rsfvwqpi1fje5qsi0“]

Ave­nue: Uns inter­es­siert der Hoch­stap­ler als Kipp­fi­gur; wenn er auf­fliegt, legt er gleich auch das Funk­tio­nie­ren von Gesell­schaft offen. Am Anfang unse­rer Beschäf­ti­gung mit Hoch­stap­lern hat­ten wir eine Podi­ums­dis­kus­si­on mit den Bel­trac­chis, den Kunst­fäl­schern. Mit den Bel­trac­chis flog auch gleich das Sys­tem des Kunst­mark­tes auf – die­ses Inves­tie­ren in Kunst in der Hoff­nung, dass sie noch teu­rer wird, die künst­li­che Ver­knap­pung von Wer­ken, der feh­len­de Anreiz, Fäl­schun­gen als sol­che zu ent­lar­ven. Als die Bel­trac­chis auf­flo­gen, hat die Welt natür­lich gelacht, auch aner­ken­nend auf­grund der stu­pen­den Tech­nik, mit der das Pär­chen gear­bei­tet hat­ten. Doch ein­her ging dies mit einem stark mora­li­sie­ren­den Blick auf’s Sys­tem. Das scheint beim ame­ri­ka­ni­schen con game anders zu sein …

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Robert Red­ford als Jay Gats­by in der gleich­na­mi­gen Ver­fil­mung (Clay­ton 1974) von The Gre­at Gats­by, dem Meis­ter­werk von F. Scott Fitz­ge­rald aus dem Jah­re 1925.

Bron­fen: Mir fällt kei­ne ame­ri­ka­ni­sche Ent­spre­chung ein; ich glau­be, bei den Ame­ri­ka­nern geht es ent­we­der um den Ame­ri­can Dream mit free­dom, pro­spe­ri­ty and hap­pi­ness oder ums Psy­cho­lo­gi­sche: Das heisst, um die­se sehr ame­ri­ka­ni­sche Vor­stel­lung von indi­vi­du­el­ler Iden­ti­tät, von Selbst­er­fin­dung, Selbst­dar­stel­lung, Selbst­ver­kauf – Vor­stel­lun­gen, in denen man sel­ber zur Wah­re wird. Je weni­ger da ist, des­to mehr kann man sich erfin­den. Bei­spiels­wei­se ist The Gre­at Gats­by eigent­lich nie­mand. Ent­spre­chend pro­du­zie­ren die Leu­te Phan­ta­sien. Das sind psy­cho­lo­gi­sche Geschich­ten. Zur Idee, dass man an der Gren­ze ‚falsch vs. rich­tig’ spielt und viel­leicht sogar das Rich­ti­ge mit der Fäl­schung über­trifft, dazu kann ich gera­de kei­ne Tex­te aufrufen.

Je weni­ger da ist, des­to mehr kann man sich erfinden.

Ameri­ka­ni­sche con games in Fil­men sind ent­we­der street­wi­se, wobei irgend jeman­dem etwas sehr über­zeu­gend erzählt wird. Oder aber es geht dar­um, dass jemand sehr viel Zeit inves­tiert, um etwas vor­zu­ge­ben, das aber eigent­lich nicht so ist wie etwa im Film Ocean’s Ele­ven (Soder­bergh 2001). Eini­ge die­ser Fil­me sind aus­ser­dem Fil­me über Fil­me. In Catch Me If You Can (Spiel­berg 2002) wird immer auch vor­ge­führt, dass Kino eine Illu­si­ons­ma­schi­ne ist. Aus­ser­dem haben eini­ge die­ser Fil­me mit Immi­gra­ti­on zu tun. Catch Me If You Can ist für mich auch eine jüdi­sche Geschich­te. In der ame­ri­ka­ni­schen Lite­ra­tur gibt es den Tricks­ter, in der jüdisch-ame­ri­ka­ni­schen Lite­ra­tur den Hersch Ostro­po­ler, der vor­gibt, etwas zu sein und unend­lich vie­le Geschich­ten erzäh­len kann. Es geht um Figu­ren, die vom Rand der Gesell­schaft in ihr Zen­trum vor­drin­gen wol­len. Es gelingt ihnen, weil das in der ame­ri­ka­ni­schen Gesell­schaft legi­tim ist und die Fra­ge nach der Ver­gan­gen­heit nie­man­den inter­es­siert: ‚Who cares about the past?‘

Ave­nue: So?

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Bron­fen, Eli­sa­beth. 2015. Mad Men. Zürich: diaphanes.

Bron­fen: Genau. Donald Trump lügt, wenn er sagt, sein Vater sei ein Schwe­de und er selbst sei in New Jer­sey auf­ge­wach­sen. In Wirk­lich­keit ist Trump näm­lich der Sohn deut­scher Ein­wan­de­rer aus der Bronx. Ich den­ke aber auch an Don Dra­per in der Fern­seh­se­rie Mad Man, der sich eine neue Iden­ti­tät aneig­net. Am Ende der 7. Staf­fel, in der er end­lich sei­ne wah­re Iden­ti­tät gesteht, sagen die Leu­te ‚who cares?‘.

Ave­nue: Uns dünkt, die ver­schwie­ge­ne Wahr­heit in Don Dra­pers Ver­gan­gen­heit habe immer etwas Bedroh­li­ches; sie scheint ihm immer wie eine Rache­göt­tin hin­ter­her zu schlei­chen – wenigs­tens für den euro­päi­schen Betrachter.

Bron­fen: Mir kommt da ein Roman von Edith Whar­ton in Sinn: The House of Mirth (1905). Die jun­ge Hel­din ist eben­falls eine Hoch­stap­le­rin, die letzt­lich auch auf­fliegt. Mich inter­es­sie­ren an der ame­ri­ka­ni­schen Kul­tur immer Gegen­sät­ze. Dem Gebot „Ich muss mich neu und selbst ent­wer­fen“, „Ich bin das Image, das ich pro­du­zie­re, der Effekt, den ich habe“ steht die ame­ri­ka­ni­sche Tugend der Wahr­haf­tig­keit und Ehr­lich­keit ent­ge­gen. Zitiert wird stets der ‚gröss­te‘ ame­ri­ka­ni­sche Prä­si­dent, Geor­ge Washing­ton, mit sei­nem „Sir, I can­not tell a lie.“ Die­ses Gebot zur Wahr­haf­tig­keit wur­de Bill Clin­ton damals im Impeach­ment fast zum Ver­häng­nis, als er sei­ne sexu­el­le Bezie­hung zu sei­ner Prak­ti­kan­tin nicht zuge­ge­ben wollte.

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„Father, I can­not tell a lie: I cut the tree“. Der jun­ge Geor­ge Washing­ton gesteht sei­nem Vater das bos­haf­te Fäl­len des Kirsch­bäum­chens. (Stich von John McRae aus dem Jah­re 1867)

Das heisst, in den gros­sen sozi­al­rea­lis­ti­schen Tex­ten Ame­ri­kas, zum Bei­spiel bei Theo­do­re Drei­ser, wer­den die Hel­den zunächst von ihrer Ver­gan­gen­heit ein­ge­holt, um sie dann zu über­win­den. Bei Don Dra­per in Mad Man beob­ach­ten wir eine Gegen­läu­fig­keit: Nach aus­sen ist alles auf die Zukunft aus­ge­rich­tet. Inner­lich aber wird er immer in die Ver­gan­gen­heit gezogen.

Ave­nue: Ent­spre­chen­des hat uns an Trump inter­es­siert. Die Lüge scheint eine ganz ande­re Rol­le zu spie­len. Nie­man­den inter­es­sie­ren die gan­zen Skan­da­le, die nicht dekla­rier­ten Steu­ern. Dage­gen scheint Hil­la­ry Clin­ton ganz und gar auf einen euro­päi­schen Wahr­heits­dis­kurs ver­pflich­tet zu werden.

Bron­fen: Nun, ich gebe zu: I always was with her and I am with her. Clin­ton steht inner­halb des Kon­tex­tes doch für eine poli­ti­sche Red­lich­keit. Klar hat Poli­tik mit Kom­pro­mis­sen zu tun. Doch sie legt ver­hält­nis­mäs­sig offen, was sie tut. Sie steht für bestimm­te Din­ge ein, enga­giert sich für Benach­tei­lig­te, die Afro­ame­ri­ka­ner, die Frau­en. Sie ist eine poli­ti­ci­an of com­pas­si­on and sin­ce­ri­ty. Natür­lich ver­sucht eine Frau, die immer von der Pres­se so fer­tig gemacht wur­de, Din­ge zu ver­ber­gen. Ich den­ke, sie unter­schei­det zwi­schen pri­va­tem und öffent­li­chem Wis­sen: Muss die Öffent­lich­keit wis­sen, dass sie eine Lun­gen­ent­zün­dung hat? Und auch wenn sie schon vor drei Jah­ren ange­sichts der gelösch­ten E‑mails gesagt hät­te: „Oops, I made a mista­ke“ – hät­te man es ihr ver­zie­hen? An die­ser Stel­le sei also an Clin­tons sin­ce­ri­ty festgehalten.

Bei Trump dage­gen zählt nichts. Die Mas­se an Lügen, die er immer­zu pro­du­ziert, ist wirk­lich erstaun­lich. So haben wir ame­ri­ka­ni­sche Poli­tik noch nicht erlebt. An Trump kön­nen wir tat­säch­lich beob­ach­ten „Ich bin nur mein Image – und wenn ich das gut genug ver­mark­ten kann, dann ist es das auch.“. Trump kann ein­fach behaup­ten, er sei gegen den Irak Krieg gewe­sen. Sofort twit­tern die Leu­te sei­ne Wor­te. Nie­mand schert sich dabei um Lüge und Wahr­heit. War­um? Es kann damit zusam­men­hän­gen, dass Trump eine Rea­li­ty TV Per­sön­lich­keit ist. Es ist erschüt­ternd, dass Prä­si­dent Oba­ma ernst­haft dar­an erin­nern muss, dass „it’s NOT rea­li­ty TV“. Dass wir das über­haupt dis­ku­tie­ren müssen!

Ave­nue: Hat die Ver­pflich­tung zur Wahr­haf­tig­keit auch etwas mit Gen­der zu tun?

Bron­fen: Ja. Wenn ich zum Begriff con games recher­chie­re, dann fin­de ich kaum je etwas zu Frau­en. Es gibt den Begriff con man. Doch con women ver­wen­de nur ich. Natür­lich gibt es Hoch­stap­le­rin­nen. Doch die con­fi­dence games gehö­ren in den Bereich des Männ­li­chen. Das hat mit alten Geschlech­ter­rol­len zu tun. Frau­en ste­hen im Pri­va­ten, sie ste­hen für Ver­trau­en, Red­lich­keit. Die Män­ner ste­hen im Bereich des Öffent­li­chen und für Risi­ko, Spiel und Bluff.

A pro­pos Gen­der: Es gibt genü­gend weis­se Män­ner und eini­ge weis­se Frau­en, die Mühe haben mit der Vor­stel­lung einer Frau an der Spit­ze des Hee­res. Ame­ri­ka­ne­rin­nen haben bis heu­te kein equal rights amend­ment; sie sind recht­lich schlech­ter gestellt als die Schwei­ze­rin­nen. Es gab ein equal rights amend­ment für Schwar­ze, aber nie eines für Frauen.

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Als Prä­si­den­tin wäre Hil­la­ry Clin­ton auch Ober­be­fehls­ha­be­rin der ame­ri­ka­ni­schen Streitkräfte.

Ave­nue: Im Moment kur­siert der Begriff der post­fak­ti­schen Poli­tik. Zitiert wird Rudolph Giu­lia­ni, der ehe­ma­li­ge Bür­ger­meis­ter New Yorks, der behaup­te­te, die gan­zen Ter­ror­an­schlä­ge hät­ten sich erst ereig­net, seit Oba­ma an der Macht sei. Wir alle wis­sen, dass das nicht der Fall ist. Giu­lia­ni muss sich für sei­ne Lüge nicht recht­fer­ti­gen, eher nimmt er in Anspruch, mit eben die­ser Lüge eine ver­deck­te oder tie­fer lie­gen­de Form der Wahr­heit – eine Art Mei­nungs-Wahr­heit – offenzulegen.

Bron­fen: Ulrich Beck sprach dar­über, dass wir seit zehn Jah­ren immer weni­ger Wert auf Exper­ten­tum legen. ‚Mei­nung‘ ist das ent­schei­den­de Wort. Wir beob­ach­ten den Zusam­men­bruch der zivi­len Öffent­lich­keit, der Auto­ri­tät von Exper­ten und selbst der Fak­ten, die in den 1990er und 2000er Jah­ren noch unhin­ter­fragt Gel­tung hat­ten. Die Gren­ze zwi­schen distan­zier­ter und dif­fe­ren­zier­ter Bericht­erstat­tung und Mei­nung ver­schwimmt. Die New York Times unter­schei­det zwar wei­ter­hin zwi­schen Report­ing und Edi­to­ri­al. Doch über die sozia­len Medi­en kann irgend­je­mand über­all sei­ne Mei­nung kund­tun – als gäbe es die Exper­ten, die wirk­lich etwas über einen Sach­ver­halt wis­sen, gar nicht. In einer Welt, in der man nicht bereit ist, der Klas­se, die über Wis­sen ver­fügt, die ent­spre­chen­de Auto­ri­tät zuzu­spre­chen, haben Fak­ten kei­nen ent­spre­chen­den Stel­len­wert mehr. Es geht viel­mehr um Emp­find­sam­kei­ten und um das, was man glau­ben will und nicht um das, was man wis­sen kann.

Nun tut Trump ja nicht so, als ob er nicht lügen wür­de. Er lügt bewusst und scham­los und wenn man ihm sagt, das war gelo­gen, dann recht­fer­tigt er sich nicht, son­dern er sagt ein­fach etwas ande­res. Er kann sich inner­halb weni­ger Sät­ze dia­me­tral wider­spre­chen. Die Rea­li­tät ist völ­lig fik­tio­nal geworden.

Ave­nue: Wir hat­ten uns auch gedacht: Trump ver­führt damit, dass er vor­führt, wie er verführt.

Bron­fen: Genau. Was Trump tut, ist sehr ‚meta‘. Trump ist die logi­sche Kon­se­quenz von der schlech­ten Sei­te der Post­mo­der­ne. Er ist schie­res Simu­la­crum, das von sich sagt, ‚ich bin ein Simu­la­crum‘. Wenn man die vom Ghost­wri­ter Tony Schwartz geschrie­be­ne Auto­biog­ra­hie von Trump liest, hat man den Ein­druck, Trump sei wirk­lich nur Image. Da ist nicht ein­mal mehr ein Ego dahinter.

Trump ist die logi­sche Kon­se­quenz von der schlech­ten Sei­te der Postmoderne.

Ave­nue: Sie haben in Ihrem Buch über Mad Man beschrie­ben, wie Don Dra­per den Scho­ko­rie­gel Hershey’s Bar bewirbt – mit einer erlo­ge­nen und einer wah­ren Kind­heits­ge­schich­te. Bei bei­den Geschich­ten stellt sich für die Zuhö­rer die­ses nost­al­gi­sche Gefühl ein, das Hershey’s Bar unwi­der­steh­lich macht. Wir haben uns gefragt, ob Donald Trump sich eben­falls als eine nost­al­gi­sche Figur auf­baut: Näm­lich als einen von allen Insti­tu­tio­nen befrei­ten self­ma­de man – als letz­ten Cow­boy-Sou­ve­rän, der jen­seits aller Behör­den und Büro­kra­tien über den Aus­nah­me­zu­stand ver­fü­gen darf.

Bron­fen: Trump ist ein Arbei­ter­kind, ein Kind von Ein­wan­de­rern; der Vater war schlicht ein Slum­lord, der Mil­lio­nen damit ver­dient, dass er arme Leu­te in schreck­li­chen Woh­nun­gen noch ärmer wer­den lässt. Slum­lo­ard bedeu­tet letzt­lich Geld auf Kos­ten der Aller­ärms­ten. Trump kommt also nicht aus dem alten ame­ri­ka­ni­schen Geld. Er wür­de wahn­sin­nig ger­ne aner­kannt wer­den, doch er kann tun, was er will – nie, nie akzep­tie­ren ihn die Ken­ne­dys und Van­der­bilts: Hier liegt die Lücke des Begeh­rens. Er ist eine häss­li­che Ver­si­on von Gats­by – minus der wun­der­ba­ren Dai­sy. Also macht Trump jetzt sei­ne eige­ne Form von käuf­li­cher Aris­to­kra­tie, eine geschmack­lo­se, extra­ar­ro­gan­te Aris­to­kra­tie des Neu­rei­chen, für die der gol­de­ne Trump Tower steht.

Trump ist ein Dem­ago­ge im Diens­te sei­ner selbst.

Trump wäre tat­säch­lich ger­ne König oder gar ‚emper­or of the world‘ – aber nicht, weil er ein poli­ti­sches Pro­jekt hat. Dar­in besteht der Unter­schied zu den faschis­ti­schen Füh­rern in Euro­pa. Wenn sich in einer Debat­te erweist, dass Trump Steu­ern hin­ter­zo­gen hat, erklärt er sofort und schlag­fer­tig: „That makes me smart“. Die Argu­men­ta­ti­on funk­tio­niert wie bei den Marx Brot­hers, nur dass sie nicht komisch gemeint ist. Dabei geht es Trump nur dar­um, sich selbst zu bewer­ben; Trump ist ein Dem­ago­ge im Diens­te sei­ner selbst. Der Ras­sis­mus, die Miso­gy­nie, das sind aus­tausch­ba­re, post­mo­der­ne Signi­fi­kan­ten. Aller­dings nicht für die Leu­te, die von Trump begeis­tert sind.

Nost­al­gisch ist die Begeis­te­rung für Trump auch aus fol­gen­dem Grund: Bei Poli­tik geht es immer um Geld: Du gibst mir das und ich geb‘ Dir das. Die Leu­te aber glau­ben, Trump ver­fü­ge über so viel Geld, dass er nicht kor­rum­pier­bar sei. Letzt­lich fan­ta­sie­ren sie sich eine noch nicht ver­netz­te Welt hin­ein. Des­halb gehen zu den Grün­der­vä­tern zurück, zu Mr. Washing­ton, der mit sei­nen 12 Freun­den ver­han­delt, in einer Zeit, in der es noch kei­ne Ban­ken gibt und auch kei­ne inter­na­tio­na­len Kon­zer­ne. Es geht um gen­tle­men rulers, hier nur mit sehr schlech­tem Geschmack.

Ave­nue: Trump erin­nert irgend­wie an Lud­wig II, den Mär­chen­kö­nig von Bay­ern. Ihm scheint dabei eine gewis­se Poli­tik­ver­dros­sen­heit oder eher: eine Insti­tu­tio­nen­ver­dros­sen­heit der Ame­ri­ka­ner in die Hän­de zu spie­len. Und Clin­ton steht ganz und gar für Institutionen…

Bron­fen: Nicht weni­ge Ame­ri­ka­ner hegen ein Miss­trau­en gegen­über Exper­ten und Insti­tu­tio­nen. Es geht nicht nur um Regu­la­ti­on, Dere­gu­la­ti­on, son­dern um einen anti­in­sti­tu­tio­na­lis­ti­schen, radi­ka­len Indi­vi­dua­lis­mus. Und Frau Clin­ton, die seit 30 Jah­ren red­li­che Poli­tik macht – mit allen Kom­pro­mis­sen –, steht aus Sicht vie­ler Ame­ri­ka­ner für die Insti­tu­tio­nen. Die Tat­sa­che, dass die Repu­bli­ka­ner die Insti­tu­tio­nen in den letz­ten acht Jah­ren kaputt gemacht haben, hilft wenig. Und dar­an, dass ihre Tea­par­ty-Leu­te die Regie­rung zum Still­stand gebracht haben, erin­nert sich die Par­tei heu­te schon nicht mehr.

Trump ist obs­zön und über­bor­dend. Clin­ton dage­gen ist sehr zurück­hal­tend. Ich bin erstaunt, dass die Pres­se das nir­gend­wo schreibt. Aber Clin­ton hat grace – in der dop­pel­te Bedeu­tung von Gra­zie und Gross­zü­gig­keit. Aber Trump hat die­ses Obs­zö­ne, ich nut­ze den Begriff wie Sla­voj Žižek, bei dem das Obs­zö­ne gegen das Gesetz ver­tösst. In der New York Times wur­den die­se immensen Schul­den auf­ge­deckt; in den 90er Jah­ren hat Trump ein­fach Mil­li­ar­den ver­spielt – ich weiss nicht, wie­vie­le Men­schen dabei zugrun­de gegan­gen sind. Doch Trump hat gar kein Gefühl für Kon­se­quen­zen. Das aber begeis­tert die Leu­te! In ihren Augen steht Trump für Risi­ko­freu­de – und die ist auch amerikanisch.

Ave­nue: Wenn man Žižek noch ein­mal ins Spiel bringt: Trumps Han­deln scheint einer zyni­schen Ideo­lo­gie zu ent­spre­chen. Auf der Ebe­ne des Sagens und Spre­chens geht es dar­um, sich von Insti­tu­tio­nen zu befrei­en, zu tun und zu las­sen, wozu man Lust hat. Auf der ver­schwie­ge­nen Sei­te des Han­delns  aber bedient man urame­ri­ka­ni­sche, fast bar­ba­ri­sche Wer­te: Eineh­men, Kolo­ni­sie­ren, Abschre­cken. Dafür steht Trump zwar expli­zit nicht ein, aber er ‚prak­ti­ziert‘ die­se Wer­te in der Art und Wei­se des Sprechens.

Bron­fen: Trumps Spre­chen ist tat­säch­lich per­for­ma­tiv. Damit löst Trump auch die­se Mobs aus. Mobs haben wir seit den 60er Jah­ren nicht mehr so deut­lich gese­hen – Auf­mär­sche, bei denen sogar die con­fe­de­ra­te flag, die Süd­staa­ten­flag­ge gehisst wird. Das ist jetzt wie­der erlaubt. Und des­halb nen­ne ich Trumps Reden und Ver­hal­ten auch obs­zön, weil es in den Men­schen das aus­löst, was Freud das Bar­ba­ri­sche nennt. Das aber hat nichts mehr zu tun mit Hoch­sta­pe­lei. Des­halb: Wir müs­sen unter­schei­den zwi­schen Trump und den Leu­ten, die ihm fol­gen. Für die ist das real.

Ave­nue: Vie­len Dank für das Gespräch.

Prof. Dr. Eli­sa­beth Bron­fen ist Kul­tur- und Lite­ra­tur­wis­sen­schaft­le­rin an der Uni­ver­si­tät Zürich. Zudem ist sie seit 2007 Glo­bal Distin­gu­is­hed Pro­fes­sor an der New York Uni­ver­si­ty. Bron­fen hat zahl­rei­che Auf­sät­ze in den Berei­chen Gen­der Stu­dies, Psy­cho­ana­ly­se, der Literatur‑, Film- und Kul­tur­wis­sen­schaf­ten sowie eini­ge viel­be­ach­te­te Bücher ver­öf­fent­licht. Zuletzt erschien von ihr das Buch Mad Men (2015), in dem sie die gleich­na­mi­ge Fern­seh­se­rie und ihren Prot­ago­nis­ten Don Dra­per his­to­risch, lite­ra­risch und poli­tisch in Kon­text setzt. Mehr über Eli­sa­beth Bron­fen fin­det sich in der Wiki­pe­dia oder auf ihrer Home­page.

Das Inter­view wur­de im Okto­ber 2016 von Corin­na Virch­ow und Mario Kai­ser geführt.

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Herausgeber*innen

Anmer­kung: Die Herausgeber*innen der Ave­nue lan­cier­ten zu Weih­nach­ten 2020 die Initia­ti­ve Salz + Kunst als Ant­wort auf die Ein­schrän­kung des künst­le­ri­schen Lebens wäh­rend der Coro­na-Pan­de­mie. Im Sin­ne von art on demand ver­mit­telt die Platt­form Kunst­stü­cke nahe­zu aller Kunst­spar­ten in den pri­va­ten Raum: ein Jodel im Vor­gar­ten, ein phi­lo­so­phi­sches Gespräch per Zoom, ein Gedicht per Whats­app, ein Vio­lin­kon­zert auf dem Balkon …

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